Fehlpässe und Tore -- "Hörzu" Nr. 24 / 1974, S. 131:
Als wäre Fußball unser Leben, so ziehen jetzt die Sender vom Leder. Ergebnis: drei Sendungen
in vier Tagen!
Doch anstatt sich die Bälle zuzuspielen (was ja auch auf dem Rasen zu Erfolgen führt), droschen
ARD und ZDF eigensinnig auf dem gleichen Thema herum. Weltmeisterschaftschronik nannten es die einen,
Fußballchronik die anderen - ein Preßschlag war´s trotzdem.
Breit und bieder geriet, wofür der SWF Baden-Baden den hochtrabenden Titel Faszination
Fußball gewählt hatte. Eine verwirrende Fülle von Bildern aus grauer Vorzeit und
wenig Spritziges. Rudi Michel stellte an Fußballstars und -veteranen alte Fragen und bekam schon
oft gehörte Antworten. Es imponierte allenfalls der der Fleiß, mit dem angestaubte WM-Tore
aus den Archiven geholt wurden.
"Im Anfang war der Ball - Symbol für Sonne und Erde - und irgendwann muß ihn jemand
mit dem Fuß getreten haben" - so pastoral begann der Schauspieler Bernhard Minetti im
ZDF-Sportspiegel die von Robert Becker und Horst Reuther zusammengetragene Dokumentation
"Das Spiel der Welt".
Fußball-Fossilien wurden ausgegraben und und im Papier, von dem Minetti getragen Geschichte und
Geschichtchen las, saß der Gilb. Eine vermanschte Mixtur von Feuilleton und Statistik -
mal sprang der Ball da, mal dort.
Wo landete man freilich wieder? Bei den Fußballgöttern und Toren von Bern, bei dem heute jedenfalls
nicht mehr ertragbaren Tor-Geschrei von Sportreporter Herbert Zimmermann. Etwas wurde deutlich: Bern 1954
ist erst 20 Jahre her, aber dazwischen liegen Welten - bei Fußball und Fernsehtechnik.
Moderne Optik und tiefer lotende Erkenntnisse brachte erst der dritte Beitrag: "König
Fußball" (ARD Frankfurt). Die Tele-Beobachtungen von Kameramann Martin Bosboom und die
geschliffenen Formulierungen des Schriftstellers Herbert Heckmann gingen dem Phänomen hautnah zu
Leibe. Da wurde der Zuschauer seziert (Fußballvergnügen als Ausbrechen aus der Arbeitswelt),
da wurden die Götter entzaubert, da bezauberte namenlose Ballakrobatik.
Herbert Heckmann lieferte denn auch die Erklärung für den Übereifer der Sender:
"Fußball ist ein Ritual, bei dem die Vorfreuden besonders ausgiebig genossen werden."
-Karlheinz Mose ("Hörzu")-
Bloß kein Tor verpassen... -- "Hörzu" Nr. 26 / 1974, S. 15:
Ein Müller-Tor im Länderspiel gegen Rußland und ein falscher Knopfdruck im Übertragungswagen:
da war der Teufel los! Im Stadion vor Freude, und zu Hause vor Wut. Millionen Fernsehzuschauer fühlten
sich geprellt. Denn auf dem Bildschirm fand dieses Tor nicht statt.
So geschehen am 26. Mai 1972 in München.
Hermann Magerer, Bildregisseur beim Bayerischen Rundfunk, denkt noch heute mit Schrecken an die Szene.
"Sogar meine Kinder sind wegen dieses verpaßten Tores in der Schule gehänselt worden."
"Dabei kann so ein Mißgeschick ganz leicht passieren", nimmt Uly Wolters vom ZDF seine
Kollegen in Schutz. "Bei uns setzt man immer voraus, daß wir hundertprozentig arbeiten. Erst, wenn
mal etwas nicht klappt, nimmt man überhaupt Notiz von uns."
Wolters und Magerer, dazu Günther Baumhauer, Kurt Meinicke und Günther Bruhns sind die fünf
Bildregisseure, die augenblicklich dafür sorgen, daß mehr als eine Milliarde Zuschauer in aller
Welt die WM-Spiele am Bildschirm verfolgen kann.
Jeder von ihnen hat über 1000 heiße Live-Einsätze auf dem Buckel, und das auf allerengstem
Raum. Nur knapp drei Quadratmeter groß ist so ein Kommandostand in einem Ü-Wagen. Sie müssen
ein Team von 60 bis 70 Mitarbeitern dirigieren, sich auf fünf, sechs Monitore gleichzeitig konzentrieren
und dabei jederzeit für 15 verschiedene Kommandostellen ansprechbar sein. Für ein 90-Minuten-Spiel
sind das rund sieben Stunden Streß.
Und doch fühlen sie sich in ihrer Arbeit unterschätzt.
"Das ist fast schon ein Komplex", sagt Uly Wolters. "Es gibt Sportarten, die Leichtathletik
zum Beispiel, die sind so schwierig in den Griff zu bekommen, daß sich mancher Show-Regisseur
davor verstecken würde. Dabei können wir noch nicht einmal proben, sondern werden von
jeder neuen Szene überrascht."
Ausgeloste Knüller
Damit sie für das große Ereignis gerüstet waren, sind die fünf Bildregisseure seit
Anfang Februar ständig miteinander im Gespräch gewesen. "Die Knüller haben wir
untereinander ausgelost. Das war wohl der fairste Weg", sagte Kurt Meinicke vom ZDF.
Zur Vorbereitung gehörte auch das intensive Studium ausländischer
Übertragungsmöglichkeiten.
"Die Engländer sind zwar reaktionsschneller als wir, weil der Regisseur selber schneidet",
meint Günther Baumhauer vom WDR, "aber bei uns ist die größere Übersicht
gewährleistet. Dazu braucht man allerdings gute Bildmischerinnen, die "auf Schenkeldruck
reagieren müssen", wie Robert Lembke sagt."
"Der Erinnerungswert des Bildes liegt bei 75 Prozent, der des gesprochenen Kommentars nur bei 25",
unterstreicht Hermann Magerer die Bedeutung des Bildregisseurs.
Entsprechend groß ist die nervliche Belastung, daß eine Kamera kaputt geht, die Zeitlupe streikt,
daß man ein Tor verpaßt oder plötzlich den falschen Elfmeterschützen im Bild hat.
"Taktische Spielzüge, die den Gegner irritieren sollen, täuschen oft auch den Bildregisseur",
erklärt Uly Wolters. "Denn eigentlich führen ja bei jeder Übertragung die Spieler auf
dem Rasen Regie. Wir können uns mit den Kameras nur danach richten."
Selbstredend ist jeder von den Fünfen leidenschaftlicher Fußballfan. Aber obwohl sie oft nur
100 Schritte vom Spielgeschehen im Einsatz sind, bekommen sie von dem Spiel selber nicht sehr viel mit.
"Manchmal wissen wir nicht einmal, wie es überhaupt ausgegangen ist."
-Siegfried Schneider, "Hörzu"-
Huberty saß im Keller fest -- "Hörzu" Nr. 27 / 1974, S. 18:
Fußballreporter schildern ihre dramatischsten WM-Erlebnisse
"Es wurde immer dunkler" sagte TV-Reporter Ernst Huberty, 47, "und als ich mich umdrehte,
sah ich ein großes Schild mit der Aufschrift: Keller. Da wurde ich dann doch nervös, und ich dachte:
"Jetzt ist alles aus." Schließlich waren noch knapp zehn Minuten bis zur Sendung, und ich
hatte keine Ahnung, wo ich mich befand."
Was Fußball-Reporter während der Weltmeisterschaft bei ihrer täglichen Arbeit erleben,
ahnt der Fußballfreund am Bildschirm nicht.
Was sich hinter den Kulissen tut, schildern sie in HÖRZU...
Der in den Keller gesackte Huberty: "Ich sollte aus dem Funkhaus Hannover den Nach-Kommentar zum Spiel
Niederlande - Uruguay sprechen. Aber irgendwie habe ich das
falsche Haus mit der falschen Tür erwischt."
Daß der Herr aus dem Westen im Norden doch noch rechtzeitig zur Sendung erscheinen konnte, verdankt er
der Entdeckung eines Telefons im Keller. Sein "Notruf" wurde im letzten Augenblick erhört.
In die Zwickmühle geriet auch Fritz Klein von der ARD. Nicht wegen des Nach-Kommentars zum Spiel Brasilien
gegen Schottland, sondern wegen der Reise vom Stadion ins Studio des HR in Frankfurt. Klein: "2000
schottische Schlachtenbummler versperrten uns den Weg. Ich saß auf einem Motorrad, und wir waren eingekeilt.
Ich dachte, die Schotten kassieren mich als Souvenir. Erst die Polizei hat uns befreit..."
Keine Ordnungshüter benötigte Kurt Lavall (ZDF) als "Hofberichterstatter" im friedlichen
Malente bei der deutschen Mannschaft. Dafür aber eine Unmenge Geduld. Lavall: "Jetzt weiß ich,
was richtiges Warten heißt. Mein Rekord vor den Toren der Sportschule steht auf 75 Minuten.
Dann erst kam Bundestrainer Helmut Schön zum Interview."
Sein Kollege Rolf Kramer brauchte bei seinem WM-Auftakt eine gehörige Portion Kondition. Zwei Stunden
mußte er bei der Eröffnungsfeier stehen.
Wolfram Esser schwitzte beim Spiel Argentinien kontra Italien. Der Grund: Sein neben ihm sitzender Gast-Kommentar,
Italien-Profi Karl-Heinz Schnellinger. Esser: "Wir konnten die Kopfhörer nicht abnehmen. Und ich
wußte nicht, ob er meine Zeichensprache verstanden hat oder nicht."
Ebenfalls in Stuttgart kam Rudi Michel ins "Schwimmen". "Diese verdammten Rückennummern
der Polen", stöhnte er, haben mich wahnsinnig gemacht. Die waren nicht zu erkennen."
Einen ähnlichen Seufzer tat Holger Obermann in Dortmund: "Und bei mir spielten auch noch die Neger
aus Zaire. Die sahen ja alle gleich aus."
Ein Meisterstück lieferte ARD-Mitarbeiter Thomas Peters. Der "Wahlbrasilianer" aus Hamburg,
wohnhaft in Rio, kidnappte Brasiliens Spieler Paolo Cesar im wahrsten Sinne des Wortes und zerrte ihn ins
Studio. Peters: "Dem habe ich noch Schuhe und Strümpfe anziehen müssen.
Und dann ging´s ab mit Catchergriff."
-Roman Köster ("Hörzu")-
Die ARD spielt nicht wie Profis -- "Hörzu" Nr. 27 / 1974, S. 96:
Was Fernsehzuschauer nach zwei Wochen "WM" ärgert
Es gibt Leute, denen läuft im Augenblick im Fernsehen zuviel Fußball. Ihnen muß man
tröstend sagen, daß der andere Kanal genügend Ausweichmöglichkeiten bietet - und
die Weltmeisterschaft nur bis zum 7. Juli dauert. Es gibt aber auch Leute, denen immer noch zuwenig
Fußball gezeigt wird. Und für sie gibt´s leider kein
tröstendes Wort. Denn sie haben recht.
Was nämlich der Fußballfreund bei einer Weltmeisterschaft im eigenen Land erwartet, ist nicht nur
das direkt gesendete Spiel. Er hofft auf "Fußball satt": auf klärende Interviews,
kritische Betrachtungen und auch auf etwas Spekulation, was alles noch passieren könnte, wenn gerade
die ARD ihren Pflichttag abspult.
Nehmen wir nur den 18. Juni, als Deutschland gegen Australien spielte: Live-Übertragung bis 17.45 Uhr.
Danach ein kurzes Gespräch mit Uwe Seeler - Schluß.
Just in dem Moment, da der Normalbürger von der Arbeit kam, war Fußball für die ARD erst einmal
beendet. Und derjenige, der das Spiel gesehen hatte, wurde mit Fragen allein gelassen: Warum war Beckenbauer
so aus der Rolle gefallen? Was war mit unseren Spielern los, die zuletzt nur noch müde über den
Platz trabten?
Von 19.30 bis 21.15 Uhr folgte die Original-Reportage des Spiels Schottland gegen Brasilien. Danach blieben
neue Fragen offen: Wie kam Reporter Fritz Klein darauf, daß "der Zug für die Brasilianer so gut wie
abgefahren sei"?
Der verwirrte Fußballfreund mußte bis 22.00 die Liza-Minelli-Show überstehen, ehe sich der
Sport wieder meldete. Mit verkürzten Berichten von den anderen Spielen, mit einem Interview, in dem es
Ernst Huberty offenbar gar nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, direkte Fragen an Helmut Schön
zu stellen. Schließlich noch die Entschuldigung des Reporters Klein für seinen Irrtum.
Auf die angekündigten Studiogäste Herberger und Fritz Walter wartete der Zuschauer vergeblich.
Er erfuhr nicht einmal, daß die deutsche Elf als erste die
Runde der letzten acht erreicht hatte. Ende.
Vier Stunden nach Spielschluß hatte es die ARD nicht geschafft, durch einen Bericht aus dem Quartier
der deutschen Mannschaft Stimmung und Meinung nach dem Spiel wiederzugeben, das Rätsel um Beckenbauers
Ausrutscher zu lösen - oder gar unabhängige Experten zusammenzurufen, die den Spieltag ungeschminkt
analysiert und ein bißchen darüber spekuliert hätten, welche Gegner auf die deutsche
Elf treffen könnten.
Das alles blieb dem ZDF überlassen, das am nächsten Tag in seiner Sendung "WM-Extra" die
ARD-Versäumnisse nachholte. Nur geschah dies um 17.40 Uhr und der Fußballfreund befand sich
gerade wieder auf dem Heimweg.
Damit wir uns richtig verstehen: Hier soll nicht dem "totalen Fußball" das Wort geredet werden.
Es geht nur darum, daß das deutsche Fernsehen doch mindestens genauso gut informieren sollte, wie es
1966 die Engländer oder 1970 die Mexikaner in ihren Programmen getan haben.
Die Zahl der Fußballfreunde geht in die Millionen und eine Weltmeisterschaft findet nur alle vier Jahre
statt. Da sollte für den Sport gelten, was für die Politik bei jeder Landtagswahl selbstverständlich
ist: Eine umfassende, journalistisch ausgefeilte Berichterstattung - und keine Stümperei.
-w. p. ("Hörzu")-
Zu Gast bei 16 Nationen -- ZDF --
"Hörzu" Nr. 27 / 1974, S. 101:
Der Zuschauer hatte lt. Programm einen "Gala-Abend mit Musik und Show" zu erwarten. Statt dessen
wurde er vom ZDF mit sparsamen Experten-Antworten auf telefonische Anfragen und mit belanglosen Interviews
gelangweilt. Nur wenn damit mal Pause gemacht wurde, konnte man ein Stückchen Show sehen. Die
Übertragung war dadurch verworren und stillos, daß zwischen Information und Unterhaltung
immer hin und her geschaltet wurde, statt beides in einem Zug zu bringen. Außerdem waren die einzelnen
Darbietungen nicht gerade attraktiv. Meines Erachtens wurde vor der Weltmeisterschaft
Fußball zu sehr zur Show gemacht.
-Matthias K. aus Kassel-
"Zu Gast bei 16 Nationen" nannte das ZDF seine Party-Show am Vorabend der Weltmeisterschaft.
Ich meine jedoch, daß bei der WM 74 nur 15 Nationen (allerdings 16 Staaten) beteiligt sind.
-Horst S., Lehrer aus Holzminden-
Gruner und Hildebrandt empfand ich weder als komisch noch als unterhaltend. Und sportlich waren allein die
ewigen "Freiübungen" die Wolfgang Gruner während seiner Sätze mit Armen und Beinen
vollführte. Allerdings wirkte das schon mehr wie ein Veitstanz.
-Fritz L. aus München-
Eröffnungsfeier -- ZDF -- "Hörzu" Nr. 27 / 1974, S. 101:
Alles in allem: Ein Kompliment den Veranstaltern der Weltmeisterschaftseröffnung. Aber genießen
konnte man nur die ersten 20 Minuten, solange das Geschehen nicht vom Fernsehreporter zerredet wurde.
-Karl K. aus Würzburg-
Ein technischer Fehler zeigte, wie wohltuend die Übertragung der Eröffnungsfeier ohne Kommentator
sein kann. Nichts gegen den sympathischen Herrn Friedrichs. Doch was er erläuterte, störte.
-Emma-E. G. aus Reutlingen-
Der ZDF-Kommentar war völlig überflüssig. Denn der Stadionsprecher war gut zu verstehen.
Auch wurden die Gruppen noch per Anzeigentafel angeküdigt.
-Sigrid D. aus Dortmund-
WM-Extra -- ZDF -- "Hörzu" Nr. 27 / 1974, S. 101:
Warum wird in "WM-Extra" und "Vor den Spielen" so viel "WM-Käse"
gesendet? Wen interessiert es schon, warum Netzer nach nach der Behandlung seiner Muskelreizung ein
heißes Bad nehmen mußte? Es wäre besser, wenn einmal am Tag nur wirklich wichtige
Informationen über die WM gegeben würden.
-H. J. Jürgen J. aus Kassel-
Mehr Interviews als Fußballspiele hält der dümmste Mattscheibengucker nicht aus:
Die "Meistermacher" Lattek und Merkel sollten bei ihren Leisten bleiben.
-Adam W. aus Offenbach-
Der Fußball fegt die Straßen leer --
"Hörzu" Nr. 28 / 1974, S. 12:
Beckenbauer, Müller & Co. locken über 30 Millionen Zuschauer vor den Bildschirm
"Kaiser" Franz kann´s mit Deutschlands Fernsehzuschauern. Das vorläufige Rekordergebnis
der Fußball-WM 74: Breitner, Beckenbauer, Müller & Co. haben den sonst eher grauen
Fernseh-Nachmittag in Straßenfegernähe à la Durbridge gekickt.
Egal, gegen wen "unsere" Nationalelf spielte - über 60 Prozent der Zuschauer drückten
ihr immer die Daumen.
Aufgeschlüsselt heißt das: rund 30 Millionen Fans. Damit kletterten während der WM die
Zuschauerquoten um ein Drittel höher, als beide Programme an normalen TV-Nachmittagen sonst für
sich verbuchen können.
"Dabei", bestätigt ZDF-Medien-Experte Klaus Neumann, "bezieht sich diese Rekordeinschaltung
nur auf die "Heim"-Fernseher. Wie viele Zuschauer die Spiele in Büros, Betrieben oder sogar
in Taxis gesehen haben, war nicht zu erfassen."
Knüller gab es auch so:
Der 1:0-Sieg der "DDR" gegen die Bundesrepublik Deutschland kletterte von den Einschaltquoten her
in Alexander-Show-Nähe: auf 68 Prozent. Lediglich Brasilien - Jugoslawien schaffte es mit 64 Prozent
ein geschalteten Geräten annähernd so weit.
Freilich: Das Fußball-Thermometer kletterte nur, wenn der Ball auch live rollte. So schnitt die 121
Minuten lange Eröffnungsfeier mit lediglich 45 Prozent Zuschauern relativ mager ab,
und die Studio-Gespräche rund ums Thema Fußball quälten sich bei 20 bis 27 Prozent herum.
Die mit grauer Theorie gespickten Rück- und Ausblicke scheint´s nur einen "harten Kern"
unter den WM-Fans. ZDF-Mann Neumann: "Die große Masse wollte die Aktion, den Kampf "Mann
gegen Mann" sehen. Am liebsten natürlch die "eigene" Mannschaft."
Live gesehen waren sogar im Vergleich zur Mexiko-WM 1970 Beckenbauers elegante Pässe noch immer
populär. Nur, vor vier Jahren waren sie auch außer der Zeit gefragteste Unterhaltung.
Beispielsweise schlugen sich am 17. Juni 1970 wegen des Zweikampfs Deutschland - Italien 64 von 100 Deutschen
die halbe Nacht um die Ohren. Das Spiel wurde ab Mitternacht übertragen.
"Heute dagegen", schätzt Medien-Experte Neumann, "hat die bedingungslose
Fußballbegeisterung abgenommen. Nur wenn der Zuschauer das Gefühl hat, daß er quasi selber
im Tor steht, schlagen Einschaltquoten Purzelbäume."
-Hans-Dieter Fischer ("Hörzu")-
Kein Grund zum Abschalten -- "Hörzu" Nr. 28 / 1974, S. 108:
Kommt nach dem "Endspiel" eine Fernseh-Flaute?
Bald ist die Luft raus aus dem Leder. Endgültig abgepfiffen die Fußball-Weltmeisterschaft in
Deutschland. Ist damit nun auch beim Fernsehen die Luft raus?
Unsere Mannschaften haben sich prächtig geschlagen - und so manche Eheleute sicher auch...
Aber wie wir hören, ist die HÖRZU-Aktion "Guter Fernseh-Nachbar" vielerorts dankbar
angewendet worden. Gemeinsame Freud´, gemeinsames Leid - das schweißt aneinander.
Fußball-Fans auf der einen, -Muffel auf der anderen Seite, sie taten sich zusammen, und sie taten´s
meist vor dem Bildschirm. Sie sahen fern.
Denn das muß den in letzter Zeit wegen Konkurrenz statt Kontrastdenkens geschmähten
Programmplanern von ARD und ZDF bescheinigt werden: Auch die Sendungen für Anti-Fußballer waren
reichlich. Und ansehnlich.
Spielfilme wie "Die besten Jahre unseres Lebens" oder "Asphalt Cowboy" dürfen deshalb
gern schon demnächst wiederholt werden.
Apropos Wiederholungen: Das Fernsehen darf sich jetzt - gerade jetzt - keine Müdigkeit leisten.
Denn viele befürchten nach dem Endspiel nun die große Flaute. Die Geräte-Industrie zum Beispiel.
Sie hat im WM-Aufwind fast ebenso viele Farb- wie Schwarzweiß-Apparate verkauft. Fast 30 Prozent aller
Fußball-Freunde konnten die Mannschaften in bunten Trikots kicken sehen.
"Schön" und gut - nach 5520 Minuten internationaler Bildschirm-Balltreterei schwor mancher:
"Da mach´ ich erst mal für Wochen den Kasten aus!"
Er würde es bald bereuen. Denn für Mattscheiben-Müdigkeit gibt es wahrlich keinen Grund.
Wem es wie uns vergönnt ist, ein wenig in der Vorplanung der Sendeanstalten herumzuspionieren, der freut
sich schon. Auf neue Abende anregender Fernsehunterhaltung:
∗ Schon das "Sommertheater" der ARD serviert einen Leckerbissen für Krimifreunde, die ein
solches Gaunerstückchen nicht oft genug sehen können:
"Die Gentlemen bitten zur Kasse", drei Folgen.
∗ Die internationale Runde vom "Spiel ohne Grenzen" (Chance für Rosenheim!) wird die
abgeschlafften Zuschauer aufmuntern
∗ "Arpad, der Zigeuner" ist mit neuen Abenteuern wieder dienstags da.
∗ Und - um aus dem frisch gebackenen Fernseh-Kuchen ein paar Riesen-Rosinen herauszupicken: Im August
beginnt das ZDF mit der Abendserie "Die Buchholzens", einer romantischen Familiengeschichte
aus dem alten Berlin
∗ Die Nostalgie-Welle strebt mit weiteren Courths-Mahler-Pralinen zum Höhepunkt
∗ Fünfmal kommt Gustav Knuth mit seiner "Powenzbande"
∗ Dazu ein Bündel neuer Kinofilme (siehe Seite 8) ... Keine Flaute also.
Manch einer, der sich extra für die Weltmeisterschaft einen Farbfernseher oder zusätzlich einen
"Tragbaren" angeschafft hat, darf zuversichtlich weiter in die Röhre schauen.
-bue ("Hörzu")-
Gedanken in der Pause -- "Hörzu" Nr. 28 / 1974, S. 113:
Als in der Pause des Spiels Deutschland gegen Australien in die Sendezentrale der ARD zurückgeschaltet
wurde, sah man in den rund zehn Minuten im Senderaum etwa zehn Mitarbeiter, die nur herumstanden.
Sie waren sogar zu faul, sich zu bewegen. Nur einer schob eine Aufnahmekamera an einen anderen Platz.
Sonst Ruhe auf der ganzen Fläche. Bei einem solchen "Einsatz" ist mir klar, daß
eine Gebührenerhöhung kommen mußte.
-Willy B. aus Berlin-
Auf Fernsehkommentatoren, zudem auf schwache, könnte man gut verzichten. Das Fernsehen sollte uns lieber
durch vollständige Bildübertragungen informieren. Als Stadionbesucher habe ich doch auch nicht
dauernd einen Kommentator neben mir.
-Siegfried J. aus Flensburg-
Der Fußballprofi Karl-Heinz Schnellinger wurde beim ZDF zu Fachkommentaren herangezogen. Doch was er zu
den Spielen der Bundesrepublik Deutschland und von Argentinien gegen Chile sagte,
war eher ein "Lachkommentar". So meinte er, der Schiedsrichter habe unserer Elf keinen Gefallen
getan mit dem Platzverweis für einen Chilenen. Ja, sind denn solche Entscheidungen
überhaupt Gefallenserweise?
-Winfried E. aus G.-
Im Rahmen der Weltmeisterschaftsspiele meinte ein Sprecher, daß nur etwa 21 Prozent der Frauen an den
Spielen interessiert seien. Nehmen wir nur einmal unser Mädchengymnasium: Es gibt kaum eine Schülerin,
die nicht von den WM-Spielen begeistert ist.
-Annette G., 15 Jahre, aus Wattenscheid-
Politisch gezogene Grenzen sind bisher noch immer - aus dem Blickpunkt der Geschichte betrachtet - relativ
kurzlebig gewesen. Deshalb bedeutete für mich das WM-Spiel Bundesrepublik - DDR nicht mehr als ein Lokalspiel,
in dem Deutsche gegen Deutsche antraten. Für jeden Deutschen sollte
dieses Spiel eine Freude gewesen sein.
-Dr. Gerhard S. aus B.-
Unfair aus Bequemlichkeit -- "Hörzu" Nr. 29 / 1974, S. 84:
Das war unfair vom ZDF: Rolf Kramer verkündete lauthals, man werde darauf verzichten, die Namen der Spieler
aus Zaire zu nennen, da diese schwer aussprechbar und international weitgehend unbekannt seien. Nur wer kannte
schon im Ausland Franz Beckenbauer, als er 1966 seine ersten WM-Spiele in England bestritt?
-Rolf B. aus Berlin-
Warum jammerten die Reporter so, daß Bundestrainer Helmut Schön einer Pressekonferenz fernblieb?
Statt solcher nichtssagenden Zusammenkunft, bei der doch meist nur Zweckoptimismus verbreitet wird, lobe ich mir
eine zwanglose Unterhaltung mit Udo Lattek, Hennes Weisweiler und Max Merkel (mit seinen bissig-ironischen
Randbemerkungen) unter Leitung eines Fach-Moderators.
-Friedrich W. S. aus Göttingen-
Gelungenste Unterhaltung war das ARD-Fußball-Ballett. Hoffentlich werden die Minutenbeiträge zu
einem kompletten Film zusammengeschnitten.
-B. Rudolf aus S.-
Ende gut - alles gut? -- "Hörzu" Nr. 30 / 1974, S. 94:
Es war berauschend, fast 80 000 Menschen singen zu hören. Warum wurde diese Harmonie
zerrissen durch das - im Augenblick doch sehr unpassende - Interview mit Herrn Neuberger?
-Beate F. aus Münster-
Die Straßen sind so leergefegt, die Kneipen dafür voller, jeder ist so aufgeregt;
das ist der Fußballkoller.
-Hildegard V. aus Berlin-
Was sollte man nun mehr bewundern: das hervorragende Spiel der 22 Ball-Akrobaten oder das nicht minder gekonnte
Playback-Spektakel der vorangegangenen Schlußfeier? Ein Bravo jedenfalls auch den (stummen) Mund-Akrobaten
und ihrem tonbandgesteuerten Dirigenten.
-Helmut Z. aus Stuttgart-
Begeistert von der Schlußfeier und einem mitreißenden Endspiel stelle ich nur die eine Frage:
Wo blieb die Begeisterung der deutschen Kommentatoren? Hatte Rudi Michel Angst, sich über den
Sieg der deutschen Mannschaft zu freuen?
-G. H. aus Frankfurt-
Fußballplatz und Lederball, Over-ath und Over-all, Fußballschuh, WM Pull-over,
Hamburg, München und Hann-over: all is over, over, over...
-Lotte K. aus M.-
Von der ARD wurde leider die Chance nicht genutzt, die Spieler vorzustellen, als Bundespräsident Scheel
sie begrüßte. Statt dessen kam Rudi Michel in Bedrängnis mit dem Verlesen der Namen, als die
Nationalhymnen gespielt wurden. Die Prominenz auf der Tribüne wurde von der Kamera nur wie zufällig
gestreift. Und nach dem Spiel stand man im Studio da - ratlos und unvorbereitet.
-Robert J. aus H.-
Wo blieb denn die Nationalhymne nach dem Sieg unserer Mannschaft?
-H. L. aus Münster-
Kompliment! Ich bin jetzt Fußballfan. Dank der "WM-Extra"-Sendungen vom ZDF. Das war eine Sache
mit Pfiff; reichlich Information und Unterhaltung, bestens aufeinander abgestimmt.
Mein Lieblingskommentator war Hanns Joachim Friedrichs.
-Uschi S. aus B.-
Warum wurden Spiele, die schon einmal in voller Länge übertragen worden waren, am nächsten Tag
nochmals mit 90 Minuten Dauer gezeigt? Hätten sich nicht besser ebenfalls voll aufgezeichnete Spiele
dafür angeboten, von denen man am Tage vorher nur eine Kurzfassung zu sehen bekommen hatte?
-Stefan P. aus Rheydt-
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