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Vom Subjekt zum Objekt -- "Der Traum vom Sehen", S. 12 bis 33,
ISBN 90-5705-054-4


1884 gibt in Leipzig ein Optiker eine Zeitungsanzeige auf, mit der er für seine Produkte wirbt. Zu sehen ist auf der Anzeige ein Mann, der einen Stab in die Luft hält, auf dem zwei Linsen befestigt sind. Wie durch ein Fernglas schaut er durch sie hindurch. "Der Fernseher" steht darunter und daneben ein üblicher Werbetext für die Waren des Geschäftsmannes.


Ebenfalls im Jahre 1884 läßt sich der 24jährige Student Paul Nipkow beim kaiserlichen Patentamt in Berlin unter dem Titel "Elektronisches Teleskop" einen Apparat patentieren, dessen Zweck es ist, "ein am Orte A befindliches Objekt an einem beliebigen Orte B sichtbar zu machen".



--(Anm.: In der Patentschrift von Paul Nipkow vom 6. Januar 1884 wird kein "Elektronisches Teleskop", sondern ein "Elektrisches Teleskop" patentiert; siehe Abb. rechts.)--(Erf.)

Wer oder was ist der Fernseher? Das Subjekt, das mit Hilfe einer Apparatur in die Ferne sieht? Ein Gerät, im weitesten Sinne vergleichbar dem Fernrohr Galileo Galileis? Oder am Ende doch nur ein Medium, das Geschäftsleute nutzen, um ihre Waren unters Volk zu bringen?




1928 ist das Publikum in den Kinosälen aus dem Staunen weitgehend heraus gekommen. Niemand fürchtet mehr, von einer auf der Leinwand heranrasenden Dampflokomotive überrollt zu werden. Da tauchen auf einem gerade einmal 4 x 4 cm großen Bildschirm zwei kaum identifizierbare weibliche Gestalten auf.

Die beiden jungen Frauen gehören zu einem Fernseh-Versuchsprogramm der Deutschen Reichspost. Sie sind Objekte, an denen in den nächsten Jahren die technischen Verfeinerungen der Erfindung von Herrn Nipkow studiert werden können. Zu diesem Zeitpunkt beträgt die maximale Bildauflösung seines "Elektronischen Teleskops" --(es muss heißen: "Elektrischen Teleskops")--(Erf.) 30 Zeilen. Fast noch zu wenig, um tatsächlich ein am Ort A befindliches Objekt am Ort B zu erkennen. Gerade noch genug, um über das Abbild ins Träumen zu geraten. Solche Fernseh-Bilder betrachtet das Publikum auf der ersten Präsentation von Fernsehversuchssendungen während der "Großen Deutschen Rundfunk-Ausstellung" in Berlin noch mit der Lupe! Fernsehen mit dem Vergrößerungsglas!

(...)

"Horch, was kommt von draußen rein", singen die beiden jungen Frauen während diese Fernsehaufnahmen gemacht werden. Sie heißen Schura von Finkelstein und Imogen Orkutt, verdienen sich mit dem Testprogramm der Reichspost gerade ein paar Mark nebenbei und sehen aus, als wären sie soeben einer Badeszene aus Billy Wilders Film "Menschen am Sonntag" entsprungen.

1934 besteht die deutsche "Fernseh-Norm" bereits aus einem 180zeiligen Fernsehbild. Die Fernsehgeräte sind nun mit der Braunschen Vakuum-Röhre ausgestattet, das Bildformat beträgt inzwischen 23 x 26 cm. Ist der Traum vom Fernsehen Wirklichkeit geworden, ausgeträumt, wenn man den Gegenstand, der sich am Ort A befindet, am Ort B scharf sieht? Was ist fern? Der Horizont oder das, was dahinter liegt? Was will man sehen?

(...)

1935, ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Berlin, hatten die Nazis ihre zivilen Fernsehversuchsprogramme für beendet und den ersten Fernsehprogrammbetrieb der Welt für eröffnet erklärt. Man wollte Erster in der Welt sein, den Briten, den Amerikanern, den Japanern voraus, auch wenn noch für wenige wenig zu sehen war: Nur im Raum Berlin konnten in gerade mal 28 öffentlichen Fernsehstuben dreimal in der Woche bis zu tausend Personen zwei bis drei Stunden Programm betrachten. Zuerst die Nachrichten, dann den bunten Abend, zum Schluß den sogenannten Kultfilm, --(hier ist anscheinend der "Kulturfilm" gemeint)--(Erf.) dazu vielleicht den einen oder anderen Ausschnitt aus einem Spielfilm. Auch ein Muster, das sich bis heute bewährt hat.

"Nichts bleibt dem Auge des Fernsehens verborgen! Das Fernsehen ist das Auge der Welt!" tönte es aus dem Munde der Ansagerin in die Fernsehstuben einer schon für den Frontblick ausgerichteten Fernsehgemeinde.

Am 1. August 1936 verkündete Hitler vor den Augen der Welt die Eröffnung der "XI. Olympischen Spiele neuer Zeitrechnung". 16 Tage lang sahen nun immerhin schon 162.228 Besucher der Fernsehstuben und Fernsehtheater 96 Stunden Sportprogramm. Keine Zahlen für Goebbels, den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Noch war das Radio, der Volksempfänger, das Propagandamittel der Politik. Was die Zuschauer nicht wissen konnten: Goebbels hatte sich dennoch mit dem Reichsluftfahrtminister Göring bereits ein Jahr zuvor heftig um das neue Medium gestritten.

Für den Ärger hatte der Führer gesorgt. Per Erlaß hatte er Göhring die televisionäre Lufthohheit zugesprochen, "mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung des Fernsehens für die Flugsicherung und den nationalen Luftschutz". Diese Art von Vorausschau ging Goebbels selbstredend zu weit. Ein halbes Jahr dauerte es, dann waren die wegweisenden Fernsehrichtlinien des Dritten Reiches unter Einbeziehung der Reichspost neu formuliert:

I. Der Reichsminister der Luftfahrt ist zuständig für alle zur Sicherung der Luftfahrt, des Luftschutzes und der Landesverteidigung erforderlichen Maßnahmen auf dem Gebiete des Fernsehens...
II. Dem Reichspostminister ist die technische Entwicklung auf dem Gebiete des Fernsehwesens und die Reglung aller technischen Angelegenheiten des zivilen Bedarfs allein vorbehalten...
III. Dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda obliegt die darstellerische Gestaltung von Fernsehübertragungen ... Er hat in Fragen, die die Landesverteidigung betreffen, das Einvernehmen mit dem Reichsminister für Luftfahrt herbeizuführen.

Der Führer und Reichskanzler am 11. Dezember 1935

(...)

Trotz des olympischen Massenspektakels: Ein Massenmedium wurde das Fernsehen in den 30er Jahren nicht. 1800 Reichsmark kostete das 180 Zeilen schwache Sehvergnügen im Einführungsjahr, immerhin noch 650 Reichsmark der erste seriell gebaute Einheitsempfänger FE1 mit 20 x 23 cm großem Bildschirm im Jahre 1939. Die Produktion von zehntausend FE1-Modellen war geplant, gerade mal fünfzig liefen vom Band. Dann rollten die Panzer.

Firmen, die sich in den 30er Jahren mit der technischen Entwicklung von TV-Geräten befaßten, mußten kapitalkräftig sein oder staatlich subventioniert. Zu den Großen der Zukunftsbranche gehörten Telefunken, eine Tochterfirma von AEG und Siemens, und die Fernseh A. G. mit ihren vier Teilhabern Bosch (Stuttgart), Zeiss Ikon (Dresden), Loewe (Berlin) und Baird Television (London).

Als die Reichspost 1935 Telefunken vor der Fernseh A. G. den Vorzug bei der Auftragsverteilung gab, lief für Baird und Loewe die Zeit ab. Der Reichspostminister Ohnesorge ließ Bosch und Zeiss wissen, daß man eine militärisch so bedeutsame technologische Entwicklung nicht in den Händen von Ausländern und Juden lassen dürfe und daß Bosch und Zeiss bei einer neuen Zusammensetzung der Fernseh A. G. auch mit einer stärkeren Unterstützung rechen dürften. Noch im gleichen Jahr teilten sich Bosch und Zeiss die Aktien der Baird Television Ltd.; Loewe erklärte sich erst 1938 bereit, seine Anteile an die Mehrheitseigner abzutreten - und verließ Deutschland.

(...)

"Wir senden Frohsinn - wir spenden Freude" hieß das Motto des Fernsehprogramms für verwundete Soldaten, das seit 1941 aus dem Berliner Kuppelsaal in die Lazarette des Großraums Berlin übertragen wurde. Schlanke, nackte Frauenbeine für verwundete Männer, kopflose Helden.

Das für die Nazis wirklich wichtige Fernsehprogramm lief 1942 aber in Peenemünde ab. Dort testeten sie eine ihrer "Wunderwaffen", eine Gleitbombe, die mit Hilfe der Fernsehtechnik ferngesteuert ins feindliche Ziel gelenkt werden sollte. Eine in die Bombe eingebaute Kamera übertrug die Bilder vom Anflug, der Pilot konnte sie im Cockpit auf dem Bildschirm verfolgen und sollte die Waffe dann präzise plazieren. Es war die Gleitbombe, die damals noch nicht funktionierte, nicht die Fernsehtechnik. Den eigenen Radius erweitern, den anderen sehen und zuschlagen, ohne selbst gesehen zu werden: der alte Tarnkappen-Traum der Militärs hat sich inzwischen erfüllt.


Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Verlags und des Herausgebers.

Quelle:

Peter Paul Kubitz
Der Traum vom Sehen
Zeitalter der Televisionen
Ein kulturgeschichtlicher Spaziergang zum Fernsehen
Hrsg. von Peter Hoenisch und TRIAD Berlin
Das Lese- und Bilderbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Gasometer Oberhausen (31.05.-15.10.1997)
ISBN 90-5705-054-4
Verlag der Kunst Dresden, Amsterdam

Informationsquellen (Angabe im oben genannten Buch):
Jahrbücher von ARD und ZDF; Aktualisierte Fassung der "Chronik der Programmgeschichte des deutschen Fernsehens" von Joan Kristin Bleicher (Universität-GH Siegen, 1992); "Medienbox" von ARD und ZDF, 1996; Genealogie der Fernsehtechnik von Joseph Hoppe in "TV-Kultur", Verlag der Kunst, Berlin 1997; RTL Television, 1997.



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