1980: 1-8, Harald Juhnke - Teil 1, Teil 2     
 Startseite

 1884 - 1959

 1960 - 1969

 1970 - 1979

 1980 - 1989

 1990 - 1999

 2000 - 2009

 Hinweise

 Gästebuch

 Netzverweise

 Titelbilder

 Impressum

Harald Juhnke -- "Hörzu" Nr. 26 / 1980, S. 26-32:

"Ick hatte nur Theater im Kopp"

Zum ersten Mal schreibt dieser Urberliner selbst, wie er wurde, wie es damals war, als wir alle von vorn anfingen. Ein Leben, typisch für eine Generation. Exklusiv in HÖRZU erzählt Harald Juhnke sein buntschillerndes Leben. Heute ist er im Fernsehen ganz oben, einer, der mit 'Musik ist Trumpf', mit dem 'Verrückten Paar' und als 'Mann für alle Fälle' zum As eines Millionen-Publikums wurde; Symbolfigur für eine erfolgreiche Nachkriegskarriere. Mit großer Ehrlichkeit rechnet Harald Juhnke im Lauf dieser Serie mit seinem schlimmsten Feind, dem Alkohol, ab.
Und: wie er "trocken" wurde.


Es wird schlichtweg Zufall gewesen sein, daß mir ein ehemaliger Schulkamerad in die Quere lief. Zufall oder - ich weiß es nicht.

Heute ist er gewichtig. Damals war er kurz und dünn. Sagenhaft dünn. Und heute ist Jo Herbst auch noch bekannt: als Schauspieler, Kabarettist und Texter. Damals, als wir uns im Frühjahr 1948 zufällig auf der Straße trafen, erkannte ich in ihm nur den ehemaligen Schulkameraden aus der Oberschule während des Krieges wieder.

1941 hatte man uns gemeinsam per Kinderlandverschickung nach Koscielec bei Hohensalza verfrachtet. In den Warthegau also - so hieß der polnische Westen seinerzeit.

Und Jo, von Langeweile getrieben, hatte im Pfarrhaus dort Karl May dramatisiert und einstudiert. Er mimte den großen Bösen, ich, rot angemalt, den edlen Winnetou.

"Hallo, wat machst du denn so?" fragte ich ihn. Ich fand, er hatte sich überhaupt nicht verändert. Er sah immer noch aus wie 'n mickriger Schüler.

"Ick besuche 'ne Schauspielschule", erwiderte er. Ziemlich selbstbewußt klang es.
"Wozu is det jut?"
"Sprechen lernen", artikulierte er, fein ins Hochdeutsche steigend. "Ausdruck, Bewegung, Rollen."
"Wat?"
"Sach mal, du tust, als ob de noch nie im Theater warst?"
"Stimmt. Ick jeh int Kino."
Jo schien fassungslos. Mit so einem Banausen hatte er mal Karl May zelebriert!
"Willste denn mal ins Theater gehn?"
Der Kleene guckte wie'n Mann von der Fürsorge. Da mochte ich ihn nicht enttäuschen. "Na ja", brummte ich, "warum nicht."

Jo atmete tief durch. Und ehe ich mich versah, begann er eine ahnungslose Seele für die darstellende Kunst zu gewinnen.

"Hier", sagte er und zauberte zwei Billette aus der Hosentasche. "Die sind fürs Deutsche Theater in der Schumannstraße. Ick hab's schon jesehn, schenk' ich dir. Jespielt wird 'Romeo und Julia', da spielt Horst Caspar den Romeo, und Antje Weisgerber spielt die Julia. Die mußte eigentlich kennen, die ham ooch bei der Ufa gefilmt, die kennste bestimmt, det sind echte Stars, sag ick dir..."

Jo redete mit Händen und Füßen über den Inhalt des Stücks. Er beschwor zwei sich spinnefeindliche Familien, zwei naseweise Verliebte, einen Balkon, eine heimliche Heirat, zwei Morde, einen Scheintod, einen Rivalentod, zwei Selbstmorde.

Ich war überrumpelt. "Det ist ja'n Krimi - da jeh ick hin."

Die zweite Karte ließ ich verfallen. Sie einem meiner Kumpane aus der Westminster-Bar anzubieten, genierte ich mich. Ich sprach gar nicht darüber. Ich genierte mich selber, nun zum ersten Mal ins Theater zu gehen.

Ich legte meinen Westminster-Dreß an: den gestreiften Zweireiher, die Wildlederschuhe, den breitkrempigen Hut. Ich fühlte mich gewappnet.

Theater - warum nicht.

Zuerst irritierten mich die Kostüme, die Masken, die Bärte. Und auch die Bewegungen der Schauspieler erschienen mir fremd: Lange Schritte führten sie aus, von einer Seite auf die andere, um schließlich doch wieder an der gleichen Stelle stehenzubleiben, von wo sie gekommen waren.

Oder sie rannten. Drehten sich auf dem Absatz um und stürzten davon, eine Tür zuschlagend, etwas laut lobend oder tadelnd. Seltsam ist das Ganze. Beispiellos.

Und in der Pause las ich sogar den Programmzettel. Dieser Horst Caspar als Romeo - ja, der hatte was, das mich beeindruckte.

Wie der Sätze hervorstieß, diese Bandwürmer von Wörtern! Fanfarengleich manchmal, aufbrausend und mitreißend. Und Sekunden danach wieder ganz anders: behutsam, zärtlich und weich.

Ich war wegen der Morde ins Theater gefahren. Sie würden, so hatte ich gehofft, der zu vermutenden kulturellen Langeweile den Garaus machen. Ich achtete kaum noch darauf. Der Schauspieler Horst Caspar steuerte mich. Ich hatte einen Bruder entdeckt. Einen bewundernswerten, großen.

Er führte mir vor, daß es einen Beruf gibt, der jene Eigenschaften benötigt, die mir seit Kindesbeinen bescheinigt worden waren: "Du redest zuviel, du spinnst, phantasierst!"

Hier, auf der Bühne, jonglierte Caspar mit Empfindungen wie ein Magier. Er verhexte mich. Und der letzte Akt war noch nicht zu Ende, als für mich feststand: Den Mann möchste kennenlernen.

Ich klatschte zum Schluß, bis keiner mehr klatschte. Dann ging ich aus dem Theater und wartete.

Ein paar Mädchen standen außer mir noch vor der Tür. Sie hielten ihre Programmhefte in Händen. Und Bleistifte.

Mein Selbstbewußtsein sank. Ich war achtzehn, ein Stenz von der Plumpe, clever im Beschaffen von Süßstoff, Käse, Cognac, und Zigaretten, nicht unbegabt im Umgang mit erfahrenen weiblichen Wesen - langte das, um mit einem Star wie Horst Caspar nach der Vorstellung ein Gespräch zu führen?

Dann kam er. Die Mädchen umringten ihn, einige klatschten, er schrieb, sagte was, lachte, der Ring löste sich langsam. Jetzt war die Gelegenheit. Jetzt mußte ich...

Ich blieb stehen. Caspar entfernte sich. Ich ging ihm nach. Acht Minuten lang. Bis zur S-Bahn.

Ich sprach ihn nicht an. Zum ersten Mal versagte mir meine kesse Klappe den Dienst.

Ich kam nicht mehr los von dem Gedanken an den Schauspieler Horst Caspar, ans Theater überhaupt. Unvermittelt hatte sich mir etwas aufgetan, das ich nicht beschreiben konnte. Ich fühlte nur, daß es mich fesselte.

Und mir war klar, daß es nur einen gab, mit dem ich darüber reden konnte: Jo Herbst.

"Willste denn nu noch mehr sehen? Willste Karten haben?"

"Ja, darum bin ich doch hier. Du mußt mir die besorgen. Ick zahl se dir ooch. Und außerdem wollt ick dich fragen, ob du vielleicht wat übers Theater zu lesen hast. Stücke und so..."

Jo kramte in seinem Regal überm Bett. Er packte schmale Reclam-Bändchen zusammen, legte zwei dicke Bücher dazu und sagte: "So, wenn de die durch hast, is dir det Janze schon jeläufiger. Und dann kannste noch mehr haben."

Und jetzt wunderten sich meine Eltern: Was hatta denn nun! Nu liesta den janzen Tach - is wat passiert?

Ein Buch hieß 'Schauspieler, Regisseure, Intendanten', war augenscheinlich 1942/43 verfaßt worden und fächerte die Berliner Theaterszene der vorangegangenen zehn Jahre auf: von Jürgen Fehling bis Wolfgang Liebeneier, von Gründgens bis Stroux.

Und eines Tages dann folgte ich dem Buch direkt. Ich pilgerte zum Gendarmenmarkt. Ich wollte ins Staatstheater vordringen, ins legendäre Schauspielhaus. Ich drang ein, indem ich mir einen Weg über Quader, Steine, Stuck und Geröll suchte. Niemand hinderte mich. Niemand außer mir war an jenem Tag auf die merkwürdige Idee gekommen, in dieser Ruine einen Traum zu erforschen.

Durch den zerfetzten Plafond des Zuschauerraums schien Sonnenlicht. An manchen Stellen bündelte es sich wie die Strahlen von Scheinwerfern. Ich kletterte auf die Bühne. Blickte mich um. So lange, bis ich nicht mehr das Chaos wahrnahm. Bis der Traum durchschimmerte.

Da sagte ich mir: Schauspieler wirste.

Ich sah ihn von der fünfzehnten Reihe aus dem Steglitzer Schloßpark-Theater. Er saß am Stammtisch einer kleinen amerikanischen Hafenkneipe: es war das Bühnenbild des Stücks von William Saroyan: 'Ein Leben lang'.

Die Typen tanzten, küßten und schlugen sich. Sie kamen und gingen. Nur einer blieb am Stammtisch sitzen.

Der wirkte sympathisch, der verursachte keine Ladehemmung, den sprichste an. Ich brauchte auch nicht im Programm nachzublättern. Der Mann, auf den ich es abgesehen hatte, war längst ein Star. Er hieß Hans Söhnker. Gleich nach der Vorstellung erwartete ich ihn vor dem Bühnenausgang. Er kam, wurde umringt, schrieb Autogramme. Es war wie vor Monaten bei Horst Caspar.

Ich beeilte mich. Und luftholen, lossprudeln und dabei wieder berlinern war eins: "Ick heiße Juhnke, Harry Juhnke und - ja, ick will Schauspieler werden, und ick würde Ihnen jern mal wat vorsprechen, wenn Sie erlauben..." Er schüttelte den Kopf. "Heute, mein Junge, in dieser Zeit, wo man nicht weiß, was wird?"

Ich glotzte ihn an wie'n Spaniel.

"Na gut denn", seufzte Söhnker. "Komm morgen vor der Vorstellung in meine Garderobe und sprich mir was vor. Aber das sage ich gleich: Ich bin kein Schauspiellehrer. Ich kann dich höchstens jemandem empfehlen, wenn ich zu der Meinung komme, daß es sinnvoll wäre."

Ich hatte mittlerweile zwar rund siebzig Dramen verschlungen - und zu Jo Herbsts Verwunderung zur Hälfte auch gleich auswendig gelernt - doch ich traute nur Romeo, meinem ersten Rausch.

Ich sah ihn in Gestalt von Horst Caspar. Ich versuchte, ein Caspar-Juhnke-Romeo zu sein. Ich bedachte nicht, daß meine Berliner Kalbszunge jedes 'i' zum 'ü', jedes 'ch' zum 'sch' zerschmatzte.

Ich baute mich in der Mitte von Söhnkers Garderobe auf, zwischen Spiegel und Kleiderständer, fixierte die nackte Glühbirne an der Decke als Balkonersatz und spuckte los.

Schwärmerisch: "Es ist der Ost, und Julia, die Sonne! Geh auf du holde Sonn...

O wie sie auf die Hand die Wange lehnt! Wär ich der Handschuh doch auf dieser Hand und küßte diese Wange..."

Da jibt's doch überhaupt nischt zu lachen. War ick so schlecht? Aber dann mussa doch jemerkt ham, da6szlig; ick mir Mühe jebe, daß ick's richtich könnte, wenn et'n Fachmann mit mir jeübt hätte - warum lacht er?

"Also", beruhigte sich Söhnker, "so hab' ich den Romeo noch nie gehört. So, wie du ihn sprichst."

Er legte ein wenig den Kopf schief, als wollte er auch noch das Echo meines Weddinger Schalmeienschmachtens vernehmen.

"Aber irgendwas ist in dir, mein Junge", sagte er schließlich.

Ich hing an seinen Lippen (Wat meinta?)

"Du brennst." Er wandte sich zu mir zurück. "Verstehst du mich?" (Nee. Aber sag's doch endlich!)

"Und wenn einer brennt - ich meine, vor Leidenschaft sich verzehrt, dann..." (Herrgott, nu machta nochmal kehrt und kiekt wieder in den Spiegel) "...dann gehört er ins Theater."

Mir blähten sich die Nüstern. Ich richtete mich auf, wagte ein Grienen. ...dann gehörta ans Theater! Na bitte. Det hab ich doch jesacht!




 1979

 1980

 1981

 1982

 1983

 1984

 1985

 1986

 1987

 1988

 1989

 1990

  

© Axel Schneider since 2002