1980: 1-8, Harald Juhnke - Teil 1, Teil 2     
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Harald Juhnke -- "Hörzu" Nr. 25 / 1980, S. 6-12:

"Eine links, eine rechts, so war det immer..."

Der Harald Juhnke ist ein Mann, der im Fernsehen ganz oben ist. Einer, der mit "Musik ist Trumpf", mit dem "Verrückten Paar" und als "Mann für alle Fälle" zum As eines Millionen-Publikums wurde. Ein Show-Star. Aber wer steckt wirklich hinter dem erfolgreichen Strahlemann? Exklusiv in HÖRZU erzählt Harald Juhnke sein buntschillerndes Leben. Zum erstenmal schreibt dieses Urberliner Original selbst, wie er wurde, was er ist, wie´s damals war, als wir alle von vorn anfingen. Ein Leben, typisch für eine Generation

Es liegt rund dreißig Jahre zurück. Ich saß in der Garderobe des Filmateliers in Berlin-Tempelhof und erwartete, meinen ersten Film zu drehen. Er hieß "Drei Mädchen spinnen". Später wurde er umbenannt in "Komplott auf Erlenhof". Aber auch sein dritter und letzter Titel "Mutti muß heiraten" bewahrte ihn nicht davor, ein Flop zu werden.

Ein Maskenbildner nahm sich meines Gesichts an, "Wohl neu?" fragte er. Ich nickte. "Wie alt?" "Zwanzig." Ich guckte ein bißchen unsicher aus der Wäsche. Allerdings nur ein bißchen.

Und nur, weil ich vom Filmen noch keinen Schimmer hatte. Auf der Bühne fühlte ich mich nach drei Rollen fast zu Hause. Ein Kritiker hatte sich nicht gescheut, mich mit dem jungen Gérard Philipe zu vergleichen. Ich blickte in den Spiegel. Vielleicht stimmte es ja: die Augen - ja, kann sein, die Augen waren dem Zeitungsfritzen aufgefallen -, ich stierte wie ´ne Eule. Doch interessant vermutlich. Hättense mich sonst zum Film jeholt? Da ging die Tür auf. Ein Herr erschien. Groß, schlank, etwa vierzig. Ein Herr von Adel. Ich erkannte ihn sogleich: Axel von Ambesser. Er hatte vor den Kameras der Ufa schon fast allen Stars die Hand geküßt, er schrieb Theaterstücke und war ihr bester Interpret.

"Juhnke" sagte ich und machte eine Verbeugung. "Ach - Sie spielen den Liebhaber?" "Ja." Ich freute mich, weil Herr von Ambesser davon gehört hatte. Offenbar ein netter Kollege, dachte ich und sah ihn gespannt an.

Aber Herr von Ambesser ließ sich Zeit. Als Dramatiker, der etwas von Timing versteht, war er´s sich schuldig. "Merkwürdig", enthüllte er endlich die Ursache seines Nachdenkens, das Kinn an den Hals gepreßt, in den Augen ein Glitzern: "Merkwürdig... mit so einem Gesicht wollen Sie Karriere machen?" Der Film lief in Berlin an. Ich hatte schon in der Nacht zuvor beobachtet, wie dafür die riesige Dekoration über dem Kinoeingang angebracht wurde. Und zwar hatte ich es deshalb beobachtet, weil da nun neben andern auch mein Kopf prangte - zum erstenmal. Dann war Premiere. Und wie 1950 üblich: großer Bahnhof.

Aber am nächsten Tag hatte sich der Rummel bereits verlaufen. Die Kritiken waren lau bis kühl. Dazwischen fand ich mich erwähnt, und ich dachte: das kann doch nicht alles gewesen sein. Drei Tage später spazierte ich erneut vor dem Kino auf und ab. An meiner Seite Wolfgang Gruner. Wolfgang besuchte mit mir gemeinsam die Schauspielschule. Er war noch kein "Stachelschwein", aber schon helle.

Ich guckte verzückt auf mein überdimensionales Kino-Konterfei und sagte versonnen: "Unheimlich is det, ja - gradezu unheimlich..." "Wat is unheimlich?" "Na, wie ick bereits populär bin." "Duuu?" Wolfgang glaubte wohl, sich verhört zu haben. "Soll ick´s dir beweisen?" "Ja, det möcht ick sehn." "Jut. Ick jeh voraus. Du bleibst zehn Meter hinter mir. Und dann kannste sehen, wie die Leute sich nach mir umdrehn - ja?" Er paßte auf wie´n Schießhund. Er wollte nicht wahrhaben, was ich behauptet hatte, aber er mußte es mit eigenen Augen ansehen: Nicht einer, der nicht zwei, sondern -zig Leute drehten sich um und starrten mir nach. Wolfgang war fassungslos. Es hielt ihn nicht länger auf Distanz. Ich hörte ihn hinter mir herhasten. Er erreichte mich und platzte heraus: "Also nee - Harald, du wirst bestimmt´n Weltstar!" Ich nickte. "Sag´ ick doch." Wolfgang Gruners Respekt währte immerhin fünfzig Meter weit. Als sich dann niemand mehr nach mir umsah, wurde er wieder mißtrauisch. "Wieso reagiert denn jetzt keener!" "Moment", antwortete ich, holte ein Markstück aus der Tasche, spuckte darauf und klebte es mir an die Stirn. "Paß uff, gleich jeht´s wieder los!"

Es war nicht Schöneberg und es war auch nicht Mai; es war in Charlottenburg und am zehnten Tag des Monats Juni anno 1929: Ich wurde geboren. Berlin flaggte. Der Reichstag, das Rathaus, jedes staatliche und städtische Gebäude. Um 10 Uhr morgens ertönte die Nationalhymne. Danach erschollen Hochrufe. Die da riefen, zählten zum Volk. Weiter vorn standen Würdenträger, Minister der Republik. Nur fand das alles nicht meinetwegen statt: Aus dem fernen Ägypten gab König Fuad am selben 10.6.29 Berlin die Ehre, sich in Unkosten zu stürzen.

Ich stellte den jüngsten Fortsatz der gesamten Verwandtschaft dar, die sich jeweils an Weihnachten in Frankfurt an der Oder zusammenfand. Ich wurde immer heftig verwöhnt. Viel mehr als mein ältester Cousin Harald. Mir gefiel das sehr. Ich vermißte keine Geschwister. ich machte Putz für zwei. Verwechslungen beim Rufen nach uns Jungen kamen nicht vor: Damals hieß ich noch Harry. Erst rund 15 Jahre später änderte sich das.

Da nahm ich in Berlin Schauspielunterricht bei Marlise Ludwig, unbestrittenes As aller Schauspiellehrerinnen hierzulande. Seit vier Jahren Professor, unterrichtet sie heute immer noch: 94 Lenze jung. Marlise hatte was gegen den Namen Harry. "Der ist nichts für dich. Der klingt so flapsig. Flapsig bist du aber schon genug!" Womit sie wohl recht hatte, und ich mich in Harald verwandelte.

Wie gesagt: Ich war´n Einzelkind. Ich ließ kaum eine Gelegenheit aus, Applaus einzuheimsen. Ich war zur Hälfte ein Aufschneider. Aber einer, dem man immer zuhörte. So´n Mini-Münchhausen von der Berliner Plumpe. Ich erzählte dauernd haarsträubende Geschichten, die ich angeblich erlebt hatte. Ich war inzwischen bei der Flieger-HJ, machte zwei Lehrgänge mit, schaffte den A- und B-Segelfliegerschein. 1944, ich war fünfzehn, da meldete ich mich freiwillig als Offizersanwärter zur Luftwaffe. Ich wurde tatsächlich registriert. Zu Haus, im Kinderzimmer war ich nicht nur General, sondern gleich Staatschef. Natürlich ein diktatorischer. Es gab kein Land, gegen das ich nicht Krieg führte. Ich schrieb Aufmarschpläne, steckte Fähnchen. Und selbstverständlich siegte ich ununterbrochen.

Bis mich die nüchterne Wirklichkeit einholte: Per Kinderlandverschickung ging´s in die Tschechoslowakei. Oder wie die damals hieß: Protektorat Böhmen und Mähren. Ich lernte plötzlich Reize kennen, die mir bis dahin ein Rätsel waren. Weibliche Reize. Vor lauter strategischem Eifer hatte ich Mädchen ganz übersehen. Ich lag im Bett. Es war heller Tag. Wir Schüler sollten Panzergräben ausheben. Ich fand das nicht spannend. Ich stellte mich krank. Mir wurde Bettruhe verordnet. Das Mädchen aus der Küche brachte mir etwas zum Essen. Es war ungefähr Zwanzig, wußte durchaus, was sich anbot zu tun, womöglich hatte es aber auch nur pädagogische Neigungen. Und ich... nun ja, ich zeigte vermutlich etwas Talent. Denn das Mädchen sprach nur Tschechisch, und ich kapierte es doch. Das heißt, wir sprachen ohnedies kaum. Und ich staunte, was es so alles gibt auf Erden. Fabelhaft fand ich es. Ich war so lange nur von der Absicht erfüllt gewesen, ein junger Held zu werden, ein junger Flieger. Jetzt, da ich wenigestens zum jungen Mann ausgebildet wurde, spürte ich Zweifel: War Fliegen wirklich schöner?

Meine Eltern hatten mich nicht dazu angehalten, in die HJ einzutreten. Sie hielten mich lediglich nicht davon ab. Ich wuchs daheim ohne Konflikte auf. Ob ich die Voraussetzungen für so eine autoritäre Führerposition mitbrachte, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, ich hatte den Fimmel, alles auf mein Kommando um mich rumspritzen zu sehen. Angeben wollte ich. Ich bin der Prototyp des Jahrgangs 29. Ich war nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Mich konnten nicht mal politische Witze aufweichen. Vor knapp zwei Jahren kam der Bundeskanzler in meine Hamburger Theatergarderobe. Wir sprachen sehr lange miteinander. Auch über jene Zeit. Helmut Schmidt erzählte, er vom Jahrgang 18 sei anfangs nicht minder NS-gefangen gewesen. Erst die Bücherverbrennung im Mai 1933 habe ihn veranlaßt, auf Distanz zu gehen. "Und wie war das bei Ihnen?" fragte er. "Sie sind doch nun so viel jünger..." "Eben", antwortete ich. "Und ich hatte nie ein Schlüsselerlebnis. Mir klebte das Brett noch vorm Kopf, als ich 1945 wieder nach Hause kam. Da traf ich meinen Freund Manfred. Und gemeinsam entwarfen wir ein Flugblatt mit schwarzweißroter Fahne und der Überschrift: ‘Die deutsche Jugend bleibt wachsam!’" "Das haben Sie auch noch verteilt?" "Nee - Gott sei Dank nicht mehr. Aber ich brauchte ziemlich lange, bis ich endlich ganz still wurde. Mich haben eigentlich erst Überlebende aus den KZs wachgerüttelt."

1945, nach Berlin zurückgekehrt, mußte ich wieder in die Schule. Was mich und Tausende anderer Heldenknaben nämlich aus der Schule getrieben hatte, war nun der Schnee von gestern: Das Abitur wurde nicht länger verschenkt, es durfte wieder wie früher erbüffelt werden. Amis machten Geschäfte. Geschäfte waren nötig zum Überleben. Vor der Reichstagsruine entstand der größte Schwarzmarkt Berlins. Ganze Wagenladungen amerikanischer Zigaretten wechselten dort täglich ihre Besitzer. Ich mußte mich vorerst damit begnügen, in der Schule ein Stück Stalintorte (das war eine Scheibe trockenes Brot) gegen zwei Zwiebeln zu tauschen. Oder fünfzig Gramm Zucker für einen alten Gummiball. Plötzlich hieß es in meiner Klasse: "In der Westminster-Bar verkehren französische Offiziere."

Ich zog einen eigenen kleinen Verschiebebahnhof auf. Das Stellwerk verlegte ich in die Westminster-Bar. Dort brachte ich Vater täglich Zigaretten mit. Gratis: Als kleinen Pachtzins für die große Freiheit, die er mir gewährte. Und Mutter überreichte ich Kaffee. Und für uns alle organisierte ich Brot, Butter und Käse. In jeder Familie machte es der Talentierteste. Oder derjenige, der sich dafür hielt und vordrängelte. Gemeinsam mit einem Schulfreund suchte ich eine fremde Wohnung auf, um Zigaretten zu kaufen. Tausend Zigaretten. Sie sollten preiswert sein. Preiswerter als üblich. Die Wohnung war völlig leer. Und der Typ um so ausgebuffter. So einem war ich noch nie begegnet. Er knöpfte mir mein ganzes Geld ab, versprach in zehn Minuten mit den Zigaretten wiederzukommen, verschwand - und blieb verschwunden. Ich wartete vier Stunden: vergeblich. Ich tobte, heulte, schrie: umsonst. Ich war einem Phantom aufgesessen. In jeder Familie machte es der Talentierteste... .


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