1977: Rudi Carrell, 21-23, 34, 45     
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Wovor haben Sie eigentlich Angst, Herr Carrell? -- "Hörzu" Nr. 14 / 1977, S. 15-18:

Der bekannte Fernseh-Journalist Matthias Walden hat es eigentlich immer mit Politikern zu tun. Gerade deshalb reizte ihn der Kontrast, einmal mit einem Mann zu sprechen, der etwas ganz anderes macht: mit Deutschlands Showmaster Nummer 1

Der erste Eindruck von der Carrellschen Showfabrik ist ein überaus freundlicher Sekretär, der am Flugplatz Bremen in einem weißen Range-Rover auf mich wartet. Die abendliche Fahrt geht über Dörfer, die immer kleiner, immer dunkler werden - ein Slalom zwischen Weiden und Wäldern. Man hält unwillkürlich Ausschau nach den Füchsen, die sich hier gute Nacht sagen.

Der Bau, in dem der große Master wohnt, ist von der holperigen, aufgeweichten Einfahrt her nicht zu sehen. Hundertjährige gigantische Rhododendronbüsche blockieren den Blick auf das Herrenhaus. Fans, die den Star hier aufspüren wollten, müßten mit Kompaß, Gummistiefeln und eisernen Rationen ausgerüstet sein.

Vor meiner Ankunft hatte Annette Lederer den Hausherrn als König des Show-Geschäfts porträtiert. Seine Majestät, Rudi der Einzige, steht hinter der Hausbar und trinkt Bier. Meine erste Frage an den Flitter-Monarchen ist, was in dieser Woche eine Dose feiner, junger Brechbohnen kostet. Er weiß es nicht, obwohl er just dieses Gemüse soeben als seinen "Tip der Woche" schwarz auf weiß im Zeitungsinserat angepriesen hatte. Als Quiz-Kandidat hätte er jetzt einen ersten Punktverlust erlitten.

Seine unköniglichen Werbe-Einkünfte haben jedoch zum Erwerb jenes Anwesens beigetragen, auf dessen Privatsee soeben ein still dahingleitender, nächtlich angestrahlter Schwan beim Blick durchs Fenster für einen herrschaftlichen Hintergrund sorgt. Das Feuer im Kamin prasselt, und Rudi Carrell raucht - eine Zigarette "am laufenden Band". Sechzig bis siebzig sind es am Tage, wie seine milde lächelnde Frau Anke ohne jeden Unterton eines Vorwurfs mitteilt.

"Haben Sie politische Überzeugungen?" frage ich den Hausherrn etwas unvermittelt, "und wenn ja, welche?" Er antwortet hastig zwischen zwei Zigarettenzügen: "Ich bin links. So links, daß es beinahe schon wieder rechts ist." Während ich das notiere, präzisiert er diese verblüffende Auskunft: "Wissen Sie, ich denke links und lebe rechts. So ist das."

Mein fragender Blick veranlaßt ihn zu Ergänzungen: "Mein Grundstück ist über 100 000 Quadratmeter groß. Ich stelle mir immer vor, wie schön es wäre, wenn hier alle Menschen spazierengehen könnten." - "Ja - und?" - "Es geht nicht. Ich habe einen 2 km langen Zaun um das Ganze ziehen lassen." Aha. Der Sozialschwärmer schwärmt aus der Distanz.

"Was würden Sie ändern in der Welt, wenn Sie es könnten?"

"Idi Amin ermorden!"

Mir bleibt nur höflich reduziertes Erstaunen. Dann wird es Carrell ernster: "Ich habe die Mauer in Berlin gesehen. Und neulich hat mir ein niederländischer Juso gesagt, diese Mauer sei gut und wichtig, und ich habe ihm geantwortet, ich wünschte, daß eine solche Mauer in Amsterdam stände und ich dann auf der richtigen Seite und er auf der falschen Seite lebte."

Nie will er in die "DDR" reisen - es wäre, sagt er, wie eine Rückkehr in seine Kindheit im Kriege. Er schüttelt sich, und der üppige Haarschopf wippt über seiner gerunzelten Stirn.

Die Bundesrepublik, sagt der Holländer unaufgefordert, liebe er mehr als sein eigenes Vaterland. Nie, nie mehr will er sie verlassen. Er wäre sonst, sagt er, "ein undankbarer Hund". Sein größter Wunsch sei die Wiedervereinigung Deutschlands. Zorn packe ihn angesichts der Teilung und der Verweigerung der Menschenrechte. Dabei wäre alles so einfach - die Bundesrepublik ist doch so ein herrlicher Staat!

"Aber wir brauchten ein paar Parteien mehr - was heißt wir, ich darf ja gar nicht wählen, wüßte jetzt auch gar nicht, was oder wen."

Die SPD zum Beispiel dürfte nach seiner Ansicht nicht länger eine einzige Partei sein, damit die Bürger zwischen Links-Sozialisten und Sozialdemokraten wählen könnten. Auch die CDU umklammere viel zu Unterschiedliches. Im übrigen sollten Kommunisten Lokomotivführer werden können: "Die haben doch politisch sowieso keine Chance."

Carrell trinkt nun in immer kürzer werdenden Abständen Bier, sein Aschenbecher quillt über. "Haben Sie Angst vor dem Alter, vor dem Tode?" frage ich. "Weder noch, ich glaube, ich bin schon ein paarmal gestorben." Wieso? "Nun, bei soviel Bier, bei diesem Rauchen, bei dem Dauerstreß, bei Flügen mit brennendem Motor - eigentlich müßte ich längt tot sein!"

Frau Anke lächelt hingebungsvoll, sieht zu ihm auf, hängt an seinen Lippen. Sie strahlt auch, als ihr Mann sagt: "Wenn ich zu einem Psychiater ginge, dann würde der bestimmt feststellen, daß ich meschugge bin." Warum? "Ich bin verrückt. Wer so viel arbeitet wie ich, muß verrückt sein. Von früh bis nachts sitze ich am Schreibtisch und brüte über neuen Gags. Ich kann gar nicht normal sein."

Braucht er das Fernsehen, um glücklich zu sein? Er widerspricht heftig:"Nein!" Das Fernsehen braucht mich - so ist das! Auf der Bühne kann ich viel mehr Geld verdienen als im Studio. Aber das Fernsehen kommt ohne mich nicht aus." Er sieht mich an, als müßte ich nun tief beeindruckt sein.

Meine Frage, welche menschlichen Eigenschaften ihn anziehen und welche ihn abstoßen, beantwortet er in "eigenwilligem" Deutsch: "Ich liebe Frauen und neige Männern ab." So war die Frage eigentlich nicht gemeint. Ja, also er möchte eigentlich nur mit weiblichen Wesen umgehen. "Ganz wichtig ist in meinem Beruf, daß die Frauen sich in mich verlieben. Das tun die meisten auch." Schadet ihm das nicht bei den Männern? "Aber nein! Ich bin ja viel zu häßlich, als daß Männer fürchten müßten..." Ich bin entwaffnet.

Meine Verblüffung nimmt im Laufe des Abends noch zu. Zum Beispiel bei seiner Antwort auf meine Frage, ob er religiös ist, an Gott glaubt. "Nein. Jeder Mensch ist Gott." - Er auch? - "Ja, sicher. Aber Anke ist ein bißchen mehr Gott."

Ab und zu verläßt der selbsternannte Gott wortlos seinen Barhocker und geht hinaus - das viele Bier... Das gehört zum Irdischen an ihm. Plötzlich sagt er: "Ich bin ein Riesenarschloch!" Meine Irritation und mein Zögern, das zu notieren, sind ihm unbegreiflich. Diese Wortwahl sein kaum druckreif, wage ich einzuwenden. Er bemüht sich um salonfähige Beschreibung seiner Selbsterkenntnis: "Ich habe ein Riesenbrett vor dem Kopf. Man muß naiv sein in meinem Beruf und ein bißchen dumm. Das ist ja das Problem von dem Kuli: Der denkt zuviel!"

Mein Einwand, Naivität sei noch kein ausreichendes Motiv für so harte Selbstbeurteilung, läßt dann aber auch ihn nachdenklich werden. Er reicht Begründungen nach: Egoistisch sei er, fast egomanisch, übelnehmend, eitel, unstet, nachtragend und untreu. "Soll ich das alles schreiben?" Ich soll. Nur eine Ergänzung: Seinem Beruf sei er treu.

Würde er wichtige Entscheidungen seines Lebens gern im Lichte späterer Erkenntnis revidiert haben? Nein! Nichts. Auch die gescheiterte Ehe, die Scheidung, würde er wiederholen. "Ich bin der glücklichste Mensch von der Welt" sagt er und sieht strapaziert aus. Die Trennung von seiner ersten Frau und den Kindern sei schlimm gewesen, so schlimm, daß er zu keinem Journalisten je Genaueres darüber sagen würde. Also doch Unglücksphasen? Nein. "Kummer gehört zum Leben. Auch Traurigkeit ist schön." Das Kaminfeuer lodert nicht mehr, ist nur noch rote Glut. Draußen ist der Schwan verschwunden. Die alten Bäume rauschen.

"Ich bin", sagt der Show-Monarch und rutscht auf seinem Barschemel hin und her, daß der knarrt, "ich bin bei der Geburt meines ersten Kindes und beim Sterben meines Vaters dabeigewesen. Beides habe ich genossen." Beides? Etwas hilflos sehe ich mich nach Frau Anke um. Sie ist entschwunden und hätte - so viel ist mir schon klar - ohnehin nichts gesagt. Carrell selbst versucht nun, sein Glücksempfinden beim Tode des Vaters zu erläutern: "Hm, ich habe in beiden Fällen geweint - also muß doch auch beides schön gewesen sein - oder?" Ich zeige immer noch eine gewisse Ratlosigkeit. Er habe seinen Vater sehr geliebt, und daß der so still davongegangen sei aus diesem Leben - aus dem Nichts in das Nichts -, das sei doch wunderbar.

Ich wechsle das Thema.

Wie ein Mensch beschaffen sein müßte, um mit ihm befreundet sein zu können, möchte ich gerne wissen. "Er muß mich dauernd zum Lachen bringen." Mehr nicht? Mehr nicht. Im Augenblick sieht Carrell gar nicht lustig aus. Die Augen sind müde, um den Mund ist ein Zug fast wehmütiger Überanstrengung. Professionelle Spaßerzeugung muß strapaziös sein.

Ob er erwartet habe, einmal im Leben überaus erfolgreich zu sein, oder ob es ihn überrascht habe, frage ich. "Weder noch", sagt er. Wenn er es nicht erwartet habe, müsse es ihn aber überrascht haben, wende ich ein. Er ist entzückt von so viel simpler Logik: "Schreiben Sie das! Das ist gut! Sie müssen ja nicht immer nur schreiben, was ich sage." Aber dann trägt er selber noch etwas zu diesem Thema bei: Wenn er als Kind an der Hand seines Vaters ging und fremde Herren den Vater erkannten und tief den Hut vor ihm zogen, da hat er sich gewünscht, auch einmal so viel Ansehen zu genießen.

"Aber wer trägt heute schon noch einen Hut?" fragt er und gesteht, daß er seinen Show-Ruhm in vollen Zügen genießt. "ich werde ernst genommen", beteuert er. "Man hält mich nicht nur für einen Witzbold, man weiß, daß ich hart arbeite." Sein Fleiß sei krankhaft. Er hält sich für einen Arbeits-Neurotiker, unter dem Motto: "Nie mehr arm werden!"

Hat er keine Interessen außerhalb der Studio- und Bühnenbretter, die seine Welt von Spiel und Spaß bedeuten? Er interessiert sich für Energie-Fragen. Brennend. So richtig wissenschaftlich gründlich? Aber nein - "auf Illustrierten-Niveau". In seinem malerischen Anwesen ist ein Mühlrad am Bach, mit dem will er demnächst Energie erzeugen. Die Brokdorf-Demonstranten wären entzückt von diesem großen Kind.

Neugier hält Carrell für eine seiner ausgeprägtesten Eigenschaften. Der Tod schreckt ihn nur deshalb, weil er gern über den Weltuntergang in einer Live-Show berichten würde.

Was hält er von den alten Tugenden? "Was ist das, Tugend? Anke, sag mal, was Tugend ist, ich kenne das Wort nicht." Frau Anke kann es auch nicht schnell erklären. Ein Beispiel: Wahrheitsliebe. "O ja - ich verstehe. Ich bin unheimlich ehrlich. Dazu gehört Mut, also auch eine ... wie war das Wort?" Tugend. "Im Fernsehen kann man nicht lügen. Es würde bemerkt. Dieses Medium zwingt zur Ehrlichkeit."

Carrell kommt auf Kulenkampff zurück. Das Gespräch verläuft sprunghaft und wie in Haarnadelkurven. "Der Kuli fragt zuviel andere, was ankommt. Das ist ein Fehler. Ich mache nur, was ich für richtig halte. Wenn es nicht gefällt, kann ich´s nicht ändern. Es stört mich dann auch nicht sehr, weil ich weiß, daß ich mir Mühe gegeben habe."

Es ist spät geworden, und die Frau des Hauses reicht eine holländische Erbsensuppe, die während unseres Gesprächs im Hintergrund der Bar wohlriechend entstanden war. Dieses Nachtmahl unterbricht die Zigarettenketten und den Strom des Bieres. Nachdenklich löffelt der exzentrische Holländer sein Heimatgericht. Und obwohl die Konturen des weiten schwarzen Gewandes, das Frau Anke umwallt, nahenden Kindersegen erkennen lassen, sagt der werdende Vater plötzlich: "Wissen Sie, ich bin froh, daß ich meine Kinder aus erster Ehe nicht erziehen muß. Ich hätte es nicht gekonnt." Warum nicht? "Ach - ich verstehe alles vom Showgeschäft - und nichts vom Leben."

Seine Wahrheitsliebe geht weit.

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