1969: 12-13, 32-34, Mondlandung, 48-49     
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Sex im Fernsehen -- "HÖR ZU" Nr. 48 / 1969, S. 14:

'Bitte mehr nackte Männer in Film und Fernsehen!' Diesen Wunsch äußerte Monika H., Bonn, in HÖR ZU Nr. 40. Franz G., Wendern, ging noch einen Schritt weiter. Er forderte: "Es müßte allgemein mehr Sex im Fernsehen geboten werden. Sendet alle 14 Tage mal eine Abendsendung mit guter Sex-Einlage!" (HÖR ZU Nr. 45). Wir fragten unsere Leser nach ihrer Meinung und erhielten zahlreiche Zuschriften. Hier einige Auszüge:

Sex and crime - das ist heute ein zugkräftiges Rezept. Nun auch noch maskuline Nackedeis in Film und Fernsehen? Ein solches Begehren enthüllt in der Tat ein herausforderndes Maß an Frivolität. Ohne prüde zu sein, sei die Frage erlaubt: Kennt die Enttabuisierung keine Grenzen? Soll die sexuelle Eskalation immer weiter gehen?
-Walter R. aus Bochum-

Nicht nur ich, sondern auch mein Mann finden es widersinnig, daß man immer nur nackte Frauen zu sehen bekommt. Es kann doch wohl niemand behaupten, daß ein nackter Mann weniger reizvoll ist als eine Frau. Denjenigen, die behaupten, der Anblick eines nackten Mannes sei abstoßend, kann ich nur empfehlen, einen guten Psychiater zu konsultieren.
-Gisela K. aus Tübingen-

Zeigt uns das Weib in seiner ganzen Schönheit! Verschont uns mit Abartigkeiten! Dann kann auch jeder Jugendliche sich solche Sendungen ansehen, und er wird keinen Schaden nehmen an seiner Seele.
-Willy O. aus Bonn-

Genügt es eigentlich nicht, daß nackter Sex schon für Zahncreme lächelt, sich auf Autokühlern rekelt und in der rüdesten und gemeinsten Form in jeder Strip-Bar zu finden ist?
-K. K. aus Oberhausen-

Es heißt immer, Nacktheit würde keinen mehr aufregen, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt habe. Entschuldigen Sie, aber das ist ja gerade das Schlimme: Ich will mich aufregen und davon erregen lassen können. Was einem jetzt überall im Übermaß angeboten wird, läßt jegliche Gefühle abstumpfen. Nackte Männer können Sie ruhig zeigen, weil ein nackter Männerkörper nämlich keine Erotik ausstrahlen kann.
-Hannelore S. aus Bielefeld-

Außerdem ist mir vor einiger Zeit der Gedanke gekommen, daß es sich bei der Sex-Kampagne um einen Versuch von Männer-Gruppen handeln kann, die geistige Emanzipation der modernen Frau zu verhindern.
-Inge D. aus Koblenz-

Es ist schon schlimm, daß alle Illustrierten voll von Sexseiten sind und in den Kinos nur noch Sexfilme gezeigt werden. Nun soll das Fernsehen auch noch verseucht werden.
-Selma A. aus W.-

Ich bin vollkommen der Meinung von Herrn Franz G.: Viele Fernsehsendungen sind doch - auch wenn sie nicht als jugendfrei deklariert sind - an Harmlosigkeit nicht zu überbieten.
-Werner H. aus Hamburg-

Für Herrn Franz G. und seine Gesinnungsgenossen sollte gegen eine Extra-Gebühr eine sogenannte 'Nackte Welle' eingerichtet werden.
-Elisabeth V. aus Offenbach-

Haltet die Wohnzimmer sauber. Wer das Bedürfnis hat, sich durch Wort und Bild aufzuheizen, kommt doch heute in vielen Kinos auf seine Kosten.
-Rosmarie S. aus St.-

Man sollte den Sex nicht verpönen! Was ist schon unanständig an einer nackten Brust?
-H. S. aus Hamburg-


Musik aus Studio B -- ARD -- "HÖR ZU" Nr. 48 / 1969, S. 14:

Sehr sonderbar erscheint mir, daß - wie schon zu Pumpernickels grauen Zeiten - nur negative Briefe zur Sendung "Musik aus Studio B" in HÖR ZU abgedruckt werden. Wir sind damals nicht daran gestorben und werden es auch diesmal überleben. Es ist jedoch komisch, daß Peter Fröhlich in einer anderen Programmzeitschrift zum Star der Woche gewählt wurde...
-Harald Vock, Leiter der Hauptabteilung Unterhaltung beim NDR (Fernsehen)-


Erziehung zum Ungehorsam -- ARD -- "HÖR ZU" Nr. 48 / 1969, S. 110-111:

Die Revolution beginnt im Kindergarten

Erziehung zum Ungehorsam - zwei Worte, die sich beißen, sind Titel einer Fernsehsendung. Was steckt dahinter? - Es ist der Aufstand junger Eltern gegen überholte Erziehungsmethoden im Vorschulalter. Sie proben mit ihren Jüngsten 'anti-autoritäre Kinderläden'

Zuerst war es Notbehelf, dann Selbsthilfe: Junge Väter und Mütter in Berlin, denen die Erziehung ihrer Jüngsten, so wie sie in den Kindergärten praktiziert wird, falsch erscheint, bildeten Gruppen, mieteten billige Geschäftsräume und kümmerten sich selbst um ihre Sprößlinge. In sogenannten Kinderläden.

Das war im Frühjahr 1968. Seitdem proben immer mehr Jung-Eltern in kleinen Gruppen bundesweit den Aufstand: gegen eine dressierte Erziehung ihrer Jüngsten in der Vorschulzeit.

Mit wenig Geld, viel Idealismus, aber keinen Illusionen wollen sie in den Kleinkindern schon früh ein ganz neues Lebensgefühl wecken. Es nimmt nicht wunder, daß Bürger und Behörden in diesem Experiment nur 'Verwahrlosung' wittern.

Allerdings: In den öffentlichen Kindergärten, von Sozialkritikern 'Aufbewahrungshorte' genannt, kommen auf 60 Kinder zwei Hüterinnen - in den Kinderläden auf sechs bis acht 'Kleinstbürger' eine 'Bezugsperson', die sie anleitet.

In der Praxis heißt das: Väter, Mütter und 'Hilfskräfte' übernehmen umsichtig, aber gemeinschaftlich die Erziehung. Nach abgesprochenen Richtlinien. Pädagogische Hilfestellung geben Kindergärtnerinnen oder Lehrerinnen, die sich für diese Art Erziehung engagiert haben.

Die Vorstellung davon oder auch die Arbeitsform unterscheiden sich oft innerhalb der Gruppen. Das Grundmodell aber bleibt sich gleich: Vorschule ohne Tabus, Angst oder Zwang.

"Wenn das Kind trotzdem irgendwo beschränkt werden muß", sagt Karin Zimmermann, eine Lehrerin, die sich der 'Aktion Vorschulerziehung' in Stuttgart widmet, "dann nur, wenn es in Gefahr ist oder wenn es den Bereich eines anderen beansprucht - immer aber mit einer entsprechenden Erklärung."

Das Kind ist im Kinderladen König. In den etwa 1500 öffentlichen Kindergärten, die bei uns vorhanden sind, wäre das kaum noch möglich. Einmal, weil hier - bei 1,1 Millionen Dreikäsehochs - Platz fehlt für weitere 2 Millionen. Zum anderen beruht das Erziehungsprinzip dort auf völlig anderen Methoden.

"In einem 'normalen' Kindergarten geht alles so, wie es die Erwachsenen, aber nicht danach, wie es die Kinder wollen", erläutert Fernseh-Redakteur Gerhard Bott vom Norddeutschen Rundfunk, der einen Dokumentarfilm über die Kinderläden in Deutschland drehte. "In einem 'antiautoritären', besser: zwangsfreien Kinderkollektiv dagegen kann und soll das Kind sich selber 'regulieren'. Dadurch stößt es ganz allein an die Grenzen seiner Freiheit. Das ist er- und verträglicher als der Druck des übermächtigen Erwachsenen."

Weil die Kinder in dieser Neu-Entwicklung nicht gestört werden sollten, kostete es lange Verhandlungen, bis Dr. Bott die Filme für seine Sendung im Kasten hatte, die am 1. Dezember über den Bildschirm läuft.

"Wir versuchen", so erklärt Kirstin Kiefer, eine 'Gruppenmutter' und die Initiatorin der Stuttgarter Kollektivisten, " die Kinder zur Selbständigkeit und - so paradox es klingt - zum Ungehorsam zu erziehen." Und meint: kritisches Denken. Denn sie glaubt: "Die bestehende Gesellschaft erzieht die Kinder zum Gehorsam und damit zur Unselbständigkeit."

Zu welch schlimmen Folgen das führen kann, das wissen Fachleute längst. Wie die Kinder ohne Schelte auskommen können, das wird von den Beispielgruppen in vielen deutschen Großstädten noch erprobt. Die Eltern müssen dabei, das wissen sie, noch ebensoviel lernen wie die Jüngsten. Denn die Gesellschaft läßt sich nicht von heute auf morgen ummodeln. Und die Kinder sollen - weil isoliert erzogen - nicht wie der berühmte 'Ochs vor dem Berg' stehen, wenn sie in die Schule kommen.

Im allgemeinen scheint die neue Erziehungsform noch wenig Chancen zu haben. Die Münchner Psychologin Dr. Ilse Pichottka, die schon vor 15 Jahren so eine Art freiheitlichen Privat-Kindergarten gründete, setzt "zur Verwirklichung solcher Gedanken eine radikale Reform der gesamten Erziehungssituation voraus". Wie die meisten Fachleute.

Aber nur Mini-Gruppen machten bisher 'auf eigene Faust' die einzigen Versuche.

-Annetilde Richter, HÖR ZU-


Mondlandungen -- ARD und ZDF -- "HÖR ZU" Nr. 49 / 1969, S. 12:

Totale Mondfinsternis

Der eine trällerte, der andere pfiff, und beide trieben ihre Scherzchen. Die frühe Morgenstunde der 'Mondlandung' hätte nicht nur Spannung, sondern auch Fröhlichkeit in Wohn- und Schlafzimmer bringen können. Hätte... wenn nicht Moderatoren, Kommentatoren und Professoren bei ARD und ZDF jeden Anflug von Heiterkeit im Keim erstickt hätten. Sie hatten kein Verständnis für Conrads kleine Kalauer: "Viele Leute hier oben" oder (zu Bean): "Schließ nicht die Tür ab, wenn du 'runterkommst" oder "Verdammt kalt, ich werde mich noch erkälten."

Jeder in den Studios hielt sich und sein Fachwissen (das keineswegs bestritten werden soll) für wichtiger als die Worte der beiden Astronauten, die in dem Wortschwall der deutschen Kommentare untergingen. Statt die Bilder der Landung zu moderieren, brütete das ZDF-Team wissenschaftliche Theorien aus, und ausgerechnet als Bean - wenn auf dem Bildschirm auch kopfstehend - die Leiter hinunterkletterte, verlas das ZDF Nachrichten und Wetterbericht.
Weitere Aussichten: trübe!

Minuten später streikte die Fernseh-Kamera. Totale 'Mondfinsternis'.

Die große Stunde der Studio-Wissenschaftler begann. Dauersprecher Heinrich Schiemann, der nur auf das Luftholen seiner Gesprächspartner wartete, um sofort seine Zahlen, Tabellen und Modelle abzufeuern, konnte wieder auf seinen geliebten Mondstaub zurückzukehren, während die ARD-Kollegen ihre Achteinhalb-Stunden-Marathonsendung mit Buchbesprechungen fortsetzten.

Im März startet Apollo 13. Die Mondmänner von ARD und ZDF sollten sich schon jetzt etwas einfallen lassen. Der Reiz des Erstmaligen ist verflogen.

-Peter Kniewel, HÖR ZU-


Serengeti muß keineswegs sterben -- "HÖR ZU" Nr. 49 / 1969, S. 14:

Der HÖR ZU-Artikel "Muß Serengeti sterben?" enthält einige schwarzseherische Überlegungen. Der Serengeti-Nationalpark ist auf Grund einer Entscheidung des Präsidenten von Tansania, Dr. Nyerere, in den letzten Jahren erweitert worden. Dazu wurden mehrere Dörfer umgesiedelt. Zum erstenmal in der afrikanischen Geschichte hat man hier Menschen zugunsten von Wildtieren ausgesiedelt. Alle ostafrikanischen Staaten haben jetzt neue Nationalparks geschaffen. Obwohl diese Länder bitterarm sind, dringend Schulen, Hospitäler, Straßen, Industrie brauchen, ist der Etat für den Naturschutz versechsfacht worden.

Wir sollten daher verwaltungsmäßige Schwierigkeiten und Kämpfe um ein schon immer umstrittenes Gebiet nicht als Anlaß zum Schwarzsehen nehmen.

-Prof. Dr. Bernhard Grzimek, Frankfurt am Main-


Der Sex macht Schule -- "HÖR ZU" Nr. 49 / 1969, S. 43-45:

Opas Klapperstorch ist tot. Nach Schweden, Dänemark, England und anderen europäischen Staaten nun auch im deutschen Fernsehen


Das ZDF marschiert mutig in die siebziger Jahre. Unter dem Titel "Informationen zur Geschlechtserziehung" erblickt am 11. Januar 1970 eine siebenteilige Aufklärungsreihe das Licht der Fernsehwelt; sie wird, obwohl sie sich bescheiden als Test ausgibt, vermutlich alles in den Bereich kleinherzigen Versuchs verweisen, was bisher an Mattscheiben-Aufklärung dargeboten wurde.
Wer etwas zur Befriedigung der sogenannten "niederen Gelüste" erwartet, wird freilich enttäuscht werden. Deutlicher zwar, mit mehr Selbstverständnis als je, kommt die Sendereihe ins Programm, aber schon die ironische Anfrage, ob nun also auch das Fernsehen ins Sexgeschäft einsteige, veranlaßt den verantwortlichen Mainzer Hauptabteilungsleiter für Kultur, Dr. Brobeil, sich nachdrücklich von jenen abzusetzen, die Aufklärung nur als Vorwand benutzen, um mehr oder minder gehemmt Enthemmtes zu zeigen. "Wir machen das nicht aus Sensationsgründen; das wäre das Schlimmste, wenn man uns das vorwerfen würde!" Er und Dr. Graebner, Autor und Moderator der Sendung, erwarten trotzdem böse Briefe; es wäre auch ziemlich unrealistisch, wenn sie es nicht täten. Wann immer welche Anstalt auch zur Klapperstorchbekämpfung antrat: Vorwürfe, von "Schweinerei!" bis "Harmloser Käse!" reichend, waren die Folge; da nutzte das allerbeste Gewissen nichts und nicht der Totalverzicht auf Provokation, die auch Dr. Brobeil dem Kinofilm überlassen will.

Dreimal pfui!

• Der Süddeutsche Rundfunk, in einer Schulfunkreihe auf UKW und Mittelwelle um sexualpädagogische Hilfe für Kinder bemüht, mußte aus überwiegend positiven Briefen auch solche wie "Dreimal pfui für Euch Schweine!" und "Hitler hätte Euch alle ins KZ gesteckt!" zur Kenntnis nehmen.
• Intendant Werner Hess sah sich für den Hessischen Rundfunk vom Landesverband des Familienbundes der deutschen Katholiken dem Vorwurf ausgesetzt, die Problematik außerehelicher Beziehungen in den Sexual-'Kinderstunden' zu liberal gehandhabt zu haben.
• Sinngemäß ähnliche Erfahrungen machten Ursula Klammroth, Autorin der NDR-Fernsehsendereihe "Ich bekomme ein Kind", und Susanne Fijal vom Berliner Fernsehen ("Wie sag' ich's meinem Kinde?").

Wie schwer es diese und andere Autoren hatten und haben, wird durch jene Zuschriften und Proteste deutlich, die aus dem Lager der "Superaufgeklärten" kommen und in dem Vorwurf "Zu lahm!" gipfeln.
Die Kunst, es allen recht zu machen, will Dr. Brobeil denn auch gar nicht erst anstreben. Er will "enttabuisieren, aber nicht alles zeigen", und da befindet er sich in absoluter Übereinstimmung mit dem vielerprobten Fernseh-Biologie-Lehrer Dr. Graebner ("Natur im Heim", "Gefiederte Freunde"), der Behutsamkeit nicht als "die andere Seite der Prüderie" ansieht: "Versachlichen der Intimsphäre: ja - entpersönlichen: nein!"

Die sieben Folgen, zwischen 30 und 45 Minuten lang und zwischen 22 Uhr und 23 Uhr ausgestrahlt, haben folgende Titel: 1. 'Die Organe des Mannes', 2. 'Die Organe der Frau', 3. 'Vereinigung und Befruchtung', 4. 'Die Sexualerziehung im Kleinkindalter' (Diskussion), 5. 'Keimentwicklung und Geburt', 6. 'Aufklärung nach Plan', 7. 'Sie fragen - Experten antworten'. Intendant Holzamer übernimmt die Einleitung und Vorstellung der Serie.

Skandinavien an der Spitze

Das bundesdeutsche Fernsehen hat übrigens keinerlei Originalitätsanspruch, was TV-Aufklärung angeht: In Dänemark und Schweden ist Sexualaufklärung seit langem fester Bestandteil des Schulfernsehprogramms, kombiniert mit schriftlichem Zusatz- und Lernmaterial. Auch Englands BBC wendet sich ab Januar nächsten Jahres per Funk und Fernsehen direkt an Kinder zwischen acht und neun Jahren; Probesendungen in zwanzig Schulen wurden von den Kindern mit großem Interesse und ohne Verlegenheit aufgenommen. Diese englische Reihe, bestehend aus 10-Minuten-Folgen, will sich das ZDF sichern und zusammen mit einer selbstproduzierten Serie ab nächsten Herbst senden - dann könnten die Proteste des konservativen Publikums freilich energischere Formen annehmen; BBC scheute sich nämlich nicht, männliche und weibliche Modelle aus einer Kunstakademie zum Fotografieren auszuleihen, und "für manche Leute", so Graebner, "beginnt die Pornographie eben schon mit der schlichten Darstellung des menschlichen Körpers."

Nicht zuletzt aus dieser Sicht scheint es sinnvoll, per 'Elternschule' erst einmal den Erwachsenen die Komplexe gegenüber ihrer eigenen Körperlichkeit zu nehmen, ehe die Kinder ihre 'Lektion' erhalten: Solange Mütter und Väter verschreckt Badetücher um sich winden, wenn Kinder unangemeldet im Bad erscheinen, so lange werden auch die besten 'Sexual-Kinderstunden' von zweifelhafter Wirkung sein.

-'Li' (Herbert Lichtenfels), HÖR ZU-


Wir sind doch keine Moralanstalt -- "HÖR ZU" Nr. 49 / 1969, S. 43:

HÖR ZU-Redakteur Herbert Lichtenfels
sprach mit 'Elternschule'-Autor Dr. K. E. Graebner

HÖR ZU: Herr Doktor Graebner, in einer sexualpädagogischen Sendereihe umschrieb ein Aufklärer unlängst den Geschlechtsverkehr mit den Worten "Das, was zwei Personen in dieser Weise tun!" Ein anderer sprach von dem "von Gott gewollten Vorgang zur Weckung neuen Lebens". Sind vernebelnde oder moralgeschwängerte Erklärungen dieser Art auch in der ZDF-Elternschule zu erwarten?
GRAEBNER: Aber nein; erstens sind wir keine Moralanstalt, und zweitens würde, wenn schon der Pädagoge Unsicherheit beim Gebrauch passender Worte erkennen läßt, der unsichere Zuschauer doch nur noch unsicherer werden. So etwas merkt er doch.
HÖR ZU: Lateinische Vokabeln?
GRAEBNER: Gute deutsche Ausdrücke; mit der Flucht ins rein Wissenschaftliche ist denen, die wir ansprechen wollen, bestimmt nicht gedient. Wer die medizinischen Fachausdrücke kennt, ist möglicherweise am wenigsten auf unsere Sendereihe angewiesen. Nein, nein, in der Elternschule wird offen, ehrlich und sachlich über Geschlechtliches gesprochen.
HÖR ZU: Sachlich? Man wirft zum Beispiel dem Sex-Atlas vor, daß er so sachlich sei, als handele es sich um einen Fernlehrgang für Feinmechaniker.
GRAEBNER: Ich akzeptiere die Bedenken gegen eine so verstandene Sachlichkeit, andererseits wehre ich mich entschieden gegen eine Abwertung des Biologischen. Wir müssen zunächst einmal Informationen vermitteln; bedenken Sie bitte, für wie viele Erwachsene geschlechtliche Dinge überhaupt noch tabu sind.
HÖR ZU: Also ein Biologie-Unterricht, der an der Gürtellinie nicht halt macht?
GRAEBNER: Nein, wir wollen auch zu einer vernünftigen Geschlechtserziehung beitragen. Sie beginnt schon im Säuglingsalter und ist durch die Haftung der Eltern zur eigenen Körperlichkeit bedingt.
HÖR ZU: Zeigen Sie nackte Körper?
GRAEBNER: Nein, wir gehen davon aus, daß Erwachsene selbst wissen, wie sie aussehen.
HÖR ZU: Und Kinder? Sexualpädagogen in aller Welt sind sich einig, daß die Darstellung eines nackten Körpers nicht schadet, wenn das Kind nicht zuvor schon durch eine sexualfeindliche Erziehung geschädigt wurde.
GRAEBNER: Es ist denkbar, daß wir in einer Sendung für Kinder im Herbst nächsten Jahres nackte Körper zeigen.
HÖR ZU: Das ZDF verlautete, diese Sendereihe für Kinder finde 'je nach Reaktion' auf die Elternschule statt. Ist das so zu verstehen, daß Ihr Kampf gegen den Klapperstorch an jenen scheitern könnte, die dem Märchenvogel ein zähes Leben wünschen?
GRAEBNER: Nein, das heißt, daß wir uns, je nach Reaktion auf die Elternschule, möglicherweise über Form und Ausführung neue Gedanken machen.
HÖR ZU: Der Familienbund der deutschen Katholiken forderte neulich den Intendanten des Hessischen Rundfunks, Werner Hess, auf, eine sexualpädagogische Sendereihe abzusetzen - unter anderem, weil der Geschlechtsverkehr nicht mit dem ausdrücklichen Hinweis behandelt worden war, daß er als Krönung ehelicher Liebe zu verstehen sei. Sind Sie da von vornherein vorsichtiger?
GRAEBNER: Ich sagte ja schon: Wir sind keine Moralanstalt. Wir sprechen vom Partner, denn es kann nicht unsere Absicht sein, schlechtes Gewissen zu erzeugen.
HÖR ZU: Lassen Sie den Eindruck zu, daß die Liebe zweier Menschen auch ohne den Wunsch, sich fortzupflanzen, vollzogen werden kann?
GRAEBNER: Der Beitrag "Zyklus der Frau" behandelt die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage. Trickfilme und Organe machen deutlich, warum eine Empfängnis nur an diesen ganz bestimmten Tagen möglich ist.
HÖR ZU: Und wie man sie auch an diesen ganz bestimmten Tagen verhindern kann?
GRAEBNER: Für den Menschen, für die Entstehung einer echten, auf Liebe beruhenden Partnerschaft steht der Lustgewinn im Vordergrund. Die Befruchtung, der biologische Zweck, wird meist durch empfängnisverhütende Mittel und Methoden verhindert; das kommt selbstverständlich zur Sprache.
HÖR ZU: Befürchten Sie da keinen Protest? So mancher Intendant empfing Briefe mit dem Vorwurf, daß er 'in der Zeit sexueller Hemmungslosigkeit' diese Probleme zu liberal handhabe.
GRAEBNER: Intendant Holzamer findet, wir haben den richtigen Ton getroffen. Im übrigen behandeln wir die Verhütungsmittel ja nicht unkritisch. Die Pille zum Beispiel ist nicht in jedem Fall zu empfehlen -
HÖR ZU: - zum Beispiel nicht bei einer Unverheirateten?
GRAEBNER: - zum Beispiel nicht, wenn sich der Zyklus der Frau, verheiratet oder nicht, noch einspielen muß.
HÖR ZU: Herr Doktor Graebner, etwa 80 Prozent aller Erwachsenen bejahen die Notwendigkeit, den Kindern reinen Wein einzuschenken, schieben die Aufgabe jedoch Dritten zu. Die Schule als "Dritter" befindet sich noch auf der Teststrecke. Will sich nun das ZDF als Eltern-Ersatz versuchen?
GRAEBNER: Eltern sind überhaupt nicht zu ersetzen. Wir können ihnen nur behilflich sein, wie man es dem Kinde sagt, was man ihm erklärt und wann das am besten geschieht.
HÖR ZU: Wird die Ansagerin vorher bekanntgeben, daß die Elternschule für Jugendliche nicht geeignet ist?
GRAEBNER: Sie wird es in die Verantwortung der Eltern legen.
HÖR ZU: Und dabei beißt sich der Hund in den Schwanz. Wenn die Eltern alle Verantwortlichkeit hätten, wäre ihre Sendung ja nicht nötig.
GRAEBNER: Lieber Gott, ja, aber wir können, was Generationen versäumten, nicht im Sturmangriff erreichen.
HÖR ZU: Halten Sie es für einen schlechten Witz, zu behaupten, die Jugend könne, was sexuelles Wissen angeht, die Erwachsenen besser informieren als umgekehrt?
GRAEBNER: Nein, das ist kein Witz. Wenn man einmal davon absieht, daß das Geschlechtliche auf der Straße schlecht - nämlich verächtlich - wegkommt; von einem gewissen Rückstand der Eltern gegenüber der Jugend kann man schon sprechen. Deshalb wollen wir Eltern verständlich machen, wie wichtig Zuwendung und Liebe zum Kind - für das Entstehen einer gesunden, natürlichen Geschlechtlichkeit sind.
HÖR ZU: Natürlich auch in dem Sinn, daß die Sexualität im Leben des Menschen etwas Wünschenswertes ist?
GRAEBNER: Daß es eine wichtige Angelegenheit ist, jawohl.

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