"Holocaust" -- Dritte Programme --
"Hörzu" Nr. 3 / 1979, S. 18-20:
Soll das Fernsehen dieses Drama zeigen?
Zwei jüdische Autoren, Ephraim Kishon und June Rose, begründen in HÖRZU, warum ihrer
Ansicht nach die vier Folgen des umstrittenen Films in Deutschland gesendet oder nicht gesendet werden sollten
PRO -- Ephraim Kishon, israelischer Satiriker. Viele seiner Angehörigen starben im KZ
Ob in den USA, in Israel oder in England - überall dort, wo das fast acht Stunden lange und 15 Millionen
Mark teure Drama als Fernsehserie gezeigt wurde, hat es teils Zustimmung und teils empörte Ablehnung
ausglöst.
Die stark emotional gefärbten Reaktionen hängen mit dem Thema der Serie zusammen. "Holocaust"
heißt übersetzt "Massenvernichtung". Geschildert wird - am Beispiel eines Familienschicksals -
das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte: die Nazi-Greuel an jüdischen Mitbürgern.
In der amerikanischen Produktion wirken über 150 Schauspieler und rund tausend Komparsen mit.
Gedreht wurde die Serie an vielen Originalschauplätzen in Deutschland und in Österreich.
"Holocaust" sollte bei uns zunächst im 1. Programm gezeigt werden. Einige ARD-Intendanten waren
dagegen, stimmten dann aber einer gleichzeitigen Ausstrahlung in den 3. Programmen zu.
Als ich diese Serie in Israel gesehen habe, mußte ich weinen. "Holocaust" hat in unserem
Land einen seelischen Sturm entfacht. Ich habe diesen Film nicht als Zuschauer, sondern als ein Beteiligter
dieses Dramas gesehen.
Diese acht Stunden sind sehr schwer zu ertragen, es wird für viele eine physische Qual werden. Aber es ist
absolut notwendig, auch wenn es schon mehr als 33 Jahre her ist, als das geschah, was man der Welt nun
in diesem Epos gegen den Rassismus zeigt.
Wichtig ist dieser Film vor allen Dingen auch für die jüngere Generation, die oft nicht mehr verstehen
will, warum wir Alten so über Israel und die Welt denken.
Aber: Man kann in einem Film nicht die größte Katastrophe eines Volkes aufzeigen. Das ist
unmöglich. Über diesen unglaublichsten Vorfall der Weltgeschichte kann man eigentlich auch gar
nicht sprechen, weil man dies mit Worten überhaupt nicht ausdrücken kann.
So gesehen ist "Holocaust" nur ein bescheidenes Experiment, das jedem Menschen zeigen soll,
wie das Volk Israel in seiner schwersten Stunde von der ganzen Welt im Stich gelassen worden ist.
Manchmal sind die Darstellungen zu naiv. Die deutschen Massenmörder werden zu menschlich gezeigt.
Gestapo-Chef Heydrich wirkt so sympathisch, daß man ihm fast glauben möchte. Kleinere Dinge im Film
sind oft charakteristischer als die großen Massenmordszenen. Wenn da jemand verhaftet und aus seiner
Wohnung die Treppe herabgeführt wird, sieht man so richtig die Schadenfreude der Nachbarn. Diese Blicke
haben uns gnadenlos begleitet. Wir haben uns so unerhört allein gefühlt.
Wer aber an diesem Film Kritik übt, ist für mich schon wieder verdächtig, weil er damit den
Antisemitismus wieder wachruft.
Ich bin froh, daß man in Deutschland "Holocaust" zeigt. Für mich ein Zeichen, daß das
heutige Deutschland kein Nazi-Deutschland ist. Ich glaube, einige Leute werden mit Wut und Furcht reagieren.
Aber viele werden zum ersten Mal das ganze Ausmaß dieses Völkermordes sehen und erschüttert sein.
CONTRA -- June Rose, israelische Journalistin und Rundfunk-Kommentatorin in London
Ich wartete auf das Grauen. Doch als ich am Schluß der Sendung den Fernseher abdrehte, war ich gelangweilt,
erbost, und es war mir auch leicht übel. Wenn es sich nur um einen Versuch gehandelt hätte, das
Ausmaß dieser Tragödie zu erklären, die kaltblütige Planung der Vernichtung eines Volkes,
die systematische Aufpeitschung der Massen zum Haß - dann wäre es möglicherweise ein
lobenswertes Epos geworden. Doch diese teils fiktive, teils historisch dokumentierte Aufzeichnung des jüdischen
Schicksals im Nazi-dominierten Europa, riecht eher nach dem Parfum der amerikanischen Traumfabrik als nach dem
Gestank der Vernichtungslager.
Für mich ist "Holocaust" nichts weiter als wieder mal ein Katastrophenfilm, wenn auch sein Thema
ungewöhnlich gewagt ist. Da ist einfach alles drin: ein fußballspielender Held mit strahlend weißen
Zähnen, eine gute Dosis von Liebeskummer und auch genügend Aktion, um das Publikum zu fesseln.
Leider kann sich die filmische Fassung in keiner Weise mit der Ungeheuerlichkeit der Tatsachen messen.
Der Grund dafür mag teilweise im Untertitel liegen: Die Geschichte der Familie Weiss. Der Autor hat versucht,
das Schicksal von 6 Millionen europäischer Juden zwischen den Jahren 1933 und 1945 auf diese Familie aufzuladen.
Jedes Mitglied dieser kultivierten, assimilerten Familie stellt einen Aspekt des jüdischen Schicksals dar.
Wir erleben den Beginn der Rassengesetze, die Auswirkungen, deren Handhabung, aber es fehlt die Drohung, die
beispielsweise im Film "Cabaret" so hervorragend und auf subtile Weise zu spüren war.
Die ganze Atmosphäre ist und bleibt in Hollywood.
Was wir sehen, ist Fernseh-Grauen. Die Frage, warum die Juden sich diese Behandlung gefallen ließen,
wird zwar in den ersten drei Folgen simpel erklärt, aber der Film berührt weder das Thema
der systematischen Aushungerung, noch Folterung und Demütigung eines Volkes.
Sogar in den Vernichtungslagern sehen die Sträflinge sauber und meist gut genährt aus. Allerdings werden
uns auch einige blutige Leichen und brutale Auspeitschungen vorgeführt,
aber all das sieht zu sehr nach Film aus.
Die Publizitätsmaschine hat den Zuschauern eingehämmert, daß "Holocaust" ein wichtiges
Zeitdokument sei. Wenn ich bloß sagen könnte, es handele sich hier um ein ehrenwertes Versagen - weil
ein Film ja den Mord an sechs Millionen Menschen nicht nicht verständlich machen kann.
Nein, ich fürchte, es ist schlimmer. Ich meine: Er ist vor allem ein Erfolg für die Produzenten und die
Werbeagenturen, die ihr Geld hineingesteckt haben. Auch mit Katastrophen läßt sich Geld verdienen.
Ein immer wieder gehörtes Argument der Befürworter dieser Fernsehproduktion lautet: der Jugend von heute
in Erinnerung zu rufen, zu welchen Verbrechen im Dienst einer Wahnsinnsphilosophie eine hochkultivierte
Zivilisation getrieben wurde.
Aber: den Teenagern von heute über gewisse leider noch immer oft totgeschwiegene Aspekte der Nazizeit endlich
reinen Wein einzuschenken, das könnte auf dezentere Weise gemacht werden.
Das Vorführen von Brutalität am Menschen wirkt bei vielen heute ohnehin schon brutalisierten Kinobesuchern
und Fernsehzuschauern oft eher stimulierend als abschreckend.
Heute, zu einer Zeit, in der wieder im Dienst von politischen Ideen zum Terror gegriffen wird,
ist "Holocaust" kaum die geeignete historische Lektion - in Deutschland wahrscheinlich am allerwenigsten.
"Holocaust" - Das Drama, das alle erregte --
"Hörzu" Nr. 6 / 1979, S. 15:
Das Schicksal der Familie Weiss erschütterte 15 Millionen Zuschauer. HÖRZU bringt die wichtigsten
Stimmen zu dieser Serie, die das Bewußtsein der Deutschen verändert hat
Selbst der deutsche Bundestag kam an dem Thema nicht vorbei. Mitten in der großen Finanzdebatte erklärte
Bundeskanzler Helmut Schmidt spontan, daß er die Ausstrahlung dieser amerikanischen Serie im deutschen
Fernsehen begrüße. "Manches daran mag falsch sein, aber vieles an diesem Film ist aber richtig.
Jedenfalls zwingt dieser Film zum kritischen Nachdenken, zum moralischen Nachdenken... Eigentlich sollte er
auch im anderen Teil Deutschlands gezeigt werden. Auch die Menschen dort haben ein Recht, Anlaß und
Stoff zu bekommen, über unsere gemeinsame deutsche Geschichte erneut nachzudenken." Recht hin,
Recht her: Das "DDR"-Fernsehen zeigte an "Holocaust" kein Interesse. Es sendete stattdessen
Operettenarien, Komödien und einen "Fernsehfilm für Freunde der russischen Sprache". Nur die
wenigen, die drüben unser "Drittes" empfangen können, hatten die Chance, über dieses
Kapitel deutscher Geschichte nachzudenken.
Ein Denkanstoß für unsere Fernseh-Chefs: Warum nicht eine Wiederholung von "Holocaust" -
diesmal im ersten Programm? Das wird drüben fast überall empfangen.
Möglich wäre es. Der WDR Köln zahlte für alle vier Teile der Serie insgesamt "nun"
rund eine Million und erwarb damit das Recht für eine dreimalige Ausstrahlung.
"Holocaust" wurde bis heute in 37 Länder verkauft.
Rund 100 Millionen Amerikaner sahen sich "Holocaust" an. In der Bundesrepublik war die Zuschauerbeteiligung
wie folgt: 1. Teil: ca. 11,5 Millionen, 2. Teil: ca. 13 Millionen, 3. Teil: ca. 14 Millionen, 4. Teil:
ca. 15 Millionen. Gesamtzahl der Anrufe: mehr als 30 000.
Herb Brodkin, USA, "Holocaust"-Produzent:
Warum "Holocaust" von Amerikanern gedreht wurde -- "Hörzu" Nr. 6 / 1979, S. 15:
Brodkin: Ich bin Amerikaner - und ich bin Jude. Ich wollte meinen beiden Töchtern die Geschichte
jener schrecklichen, tragischen Jahre erzählen. Denn im Geschichtsunterricht hier in Amerika wird das Thema
kaum behandelt. Hinzu kommt noch, daß meine Kinder in einer sogenannten gemischten Ehe aufgewachsen sind.
Meine Frau ist "Arierin".
HÖRZU: Sie hatten also keine kommerziellen Beweggründe?
Brodkin: Doch, auch; aber die kamen erst in zweiter Linie. Hier konnte ich Berufliches mit einem Thema verbinden,
das mir am Herzen lag.
HÖRZU: Bis auf Kleinigkeiten wirkten die Drehorte originalgetreu. Wo haben Sie sie gefunden?
Brodkin: Der Film wurde zum Großteil in Deutschland und Österreich gedreht. Unsere Produktionsmanagerin
Tia Arnold, sie ist Wienerin, war uns dabei eine große Hilfe. Und der Autor Gerald Green hat intensive
Recherchen angestellt und mit vielen Überlebenden gesprochen. Das fertige Manuskript haben wir dann dem
amerikanischen Rabbiner March Tannenbaum zur Überprüfung vorgelegt.
HÖRZU: Wie lange haben Sie an "Holocaust" gearbeitet?
Brodkin: Genau zwei Jahre. Die Vorbereitungen dauerten elf Monate, die Dreharbeiten 13 Monate.
HÖRZU: Wieviel hat die Produktion von "Holocaust" gekostet?
Brodkin: Über sechs Millionen Dollar, das sind etwa 15 Millionen Mark.
Werner Uschkurath, "Holocaust"-Übersetzer:
Die US-Fassung wirkte anders als die deutsche -- "Hörzu" Nr. 6 / 1979, S. 15-16:
Die Deutschen in dieser Serie bleiben - bei aller Bemühungen um historische Wahrhaftigkeit - oft zu sehr im
"Klischee" hängen. Überhaupt wäre das Drehbuch bei uns von vornherein anders geschrieben
worden. Schon aus der besseren Kenntnis der Thematik heraus.
Bei der Übersetzung mußte ich besonders darauf achten, daß nicht nur deutsch gesprochen, sondern auch
deutsch gedacht wurde. Mindestens so wichtig war die Auswahl der Synchron-Sprecher: So werden, beispielsweise,
Eichmann und Kaltenbrunner, die Österreicher waren, nur von Österreichern gesprochen.
Berliner nur von Berlinern.
Aber es gab Dinge, die uns weitaus mehr Kopfzerbrechen machten. Einiges war ganz einfach falsch. So lag das Café
Kranzler bei den Amerikanern schon am Ku´damm und nicht - wie damals noch - Unter den Linden. Ein Fehler,
der leider nur dürftig behoben werden konnte. Anders verhielt es sich, wenn zum Beispiel gezeigt wurde, daß
ein Kommandant im Lager persönliche Räume zur Verfügung hatte, in denen er Damenbesuche
empfangen konnte. So etwas gab es nicht. Doch solche Szenen konnte ich leider nicht ändern.
Werner Kreindl, Darsteller des Helms:
Man hat mir diese Rolle übelgenommen -- "Hörzu" Nr. 6 / 1979, S. 16:
Ich hatte ein Erlebnis, das mich sehr betroffen machte: Zur Zeit habe ich ein Theater-Engagement in Berlin, bin
deshalb ohne Familie, und kaufe selber für mich ein. Bis zur "Holocaust"-Ausstrahlung hatte ich
ein geradezu herzliches Verhältnis zu dem Lebensmittelhändler, der mich erkannt und um ein Autogramm
gebeten hatte. Doch am Morgen nach der ersten "Holocaust"-Sendung begegnete mir fast das ganze Personal
des Ladens völig anders: skeptisch, argwöhnisch. Und einer der Angestellten fragte vorwurfsvoll:
"Wie konnten Sie nur in einer solchen Serie mitmachen?!"
Und nun frage ich mich: Sind wir denn schon wieder soweit?
Ich finde diese Serie gut. Auch die triviale Form, bei der man als Profi manchmal "Um Gottes willen!"
sagen muß. Ich habe mich mit diesem Thema intensiv beschäftigt und zahllose Bücher darüber
gelesen. Natürlich war die Wirklichkeit viel schlimmer. Doch das kann man nicht nachstellen.
Aber warum wachen alle jetzt erst auf? Warum wagt man erst jetzt diese Diskussion? Wir müssen uns doch zu
unserer Geschichte bekennen - ohne dieses "Wenn" und "Aber"! Ich wollte deswegen, wie so viele,
während der Diskussion anrufen, kam aber leider nicht durch.
Kristine Petersen, Telefonistin im WDR-Studio:
Was ich bei den Anrufen empfunden habe -- "Hörzu" Nr. 6 / 1979, S. 16-17:
HÖRZU: Was hat Sie am meisten beeindruckt?
K. Petersen: Die Anrufe der Betroffenen, der ehemals Verfolgten. Viele weinten hemmungslos, wenn sie ihre
schrecklichen Erlebnisse berichteten.
HÖRZU: Sie selbst sind ja erst dreißig, kennen jene Zeiten also nur vom Hörensagen.
Wie reagierten Sie bei diesen Anrufen?
K. Petersen: Ich konnte oft nur zuhören, schweigen, Anteil nehmen. Was hätte ich einem
Menschen, der so etwas erlebt hat, antworten sollen?
HÖRZU: Gab es auch Beschimpfungen?
K. Petersen: Ja. Aber ich war überrascht, wie wenige es doch waren. Die positiven Stimmen, vor allem
der jungen Generation, und die kritischen Fragen überwogen bei weitem.
HÖRZU: Sie haben Ihren Einsatz nicht bereut?
K. Petersen: Im Gegenteil. Aber ich werde lange brauchen, bis ich all das verarbeitet habe.
Dr. Günter Rohrbach, WDR-Fernsehspiel-Chef:
Darum haben wir "Holocaust" nicht gedreht -- "Hörzu" Nr. 6 / 1979, S. 17:
Für uns gibt es eine Fülle von Hemmungen, die uns hindern, eine solche Serie zu machen.
Das hängt mit unserer unmittelbaren Betroffenheit zusammen. Und wenn es einen deutschen Spielfilm -
wohlgemerkt: keine Dokumentation! - über dieses Thema gegeben hätte? Dann wäre uns sicherlich
der Vorwurf gemacht worden: Zuerst bringen sie die Juden um - jetzt machen sie ein Fernseh-Ereignis daraus!
Ich glaube, wir hatten einfach kein Recht dazu, über dieses Thema einen Spielfilm zu drehen.
Und uns fehlt es an einer gewissen Unbekümmertheit. Es ist einfach undenkbar, daß ein deutscher
Regisseur beispielsweise auf eine Erschießungsszene eine Liebesszene folgen läßt.
Die Amerikaner gehen mit einer phantastischen Naivität an alles heran. Gerade bei diesem Thema sind
sie sehr viel unbefangener als wir.
Dafür werden wir das Thema "Deutsche Emigrantenschicksale" in einer siebenteiligen Serie aufgreifen
und ein jüdisches Kinderschicksal in Polen schildern - Projekte, die übrigens schon vor dem
Ankauf von "Holocaust" geplant waren.
Prof. Eugen Kogon, ehemaliger Häftling im KZ Buchenwald:
Die Diskussion hat mich sehr belastet -- "Hörzu" Nr. 6 / 1979, S. 17-18:
HÖRZU: Herr Professor Kogon, Sie gehören selbst zu den Verfolgten. Kostet es Sie nicht
immer wieder Überwindung, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen?
Kogon: Ja, es ist sehr schwer für mich. Eigentlich sehe ich Dokumentationen und Filme
wie "Holocaust" nicht mehr gern. Ich bin immer wieder aufs Neue erschüttert.
HÖRZU: Wird durch diese Erinnerungen in Ihnen nicht neue Antipathie geweckt?
Vielleicht sogar Haß?
Kogon: Nein, überhaupt nicht. Ich hasse noch nicht einmal die SS-Leute, nur das System,
dem sie dienten.
HÖRZU: Hat Sie das lebhafte Interesse des Publikums an "Holocaust" überrascht?
Kogon: Ja, sehr. Als ich nach Köln ins WDR-Studio fuhr, tat es mir eigentlich schon leid, daß
ich zugesagt hatte, an der anschließenden Diskussion teilzunehmen. Ich dachte an die späte Sendezeit
und erwartete ein geringes Echo. Niemals hätte ich geglaubt, daß so viele Anrufe kommen.
HÖRZU: Ist es Ihnen schwer gefallen, an der Diskussion teilzunehmen?
Kogon: Ja, das alles hat mich sehr belastet. Ich merke, ich bin dafür zu alt. Meine Ärzte sagten
mir bereits im voraus, daß sich erneut Spätfolgen einstellen würden. Sie hatten recht.
Ich schlafe wieder schlecht, habe fürchterliche Alpträume. Alles wurde wieder aufgewühlt.
Fernseh-Kommentator und HÖRZU-Mitarbeiter Matthias Walden:
Das Schweigen ist gebrochen -- "Hörzu" Nr. 6 / 1979, S. 18:
Wenn das damals, als das Blut der Juden vergossen und ihr Atem in der Gaskammer erstickt wurde, jemand
vorausgesagt hätte: Daß 3,5 Jahrzehnte danach Millionen Deutsche gut gepolstert in ihren Fernsehzimmern
sitzen und, von Entsetzen und Mitgefühl und Mitleiden gepackt, weinen würden - als unvorstellbar
hätten das die einen empfunden und als zu spät die anderen. Eine TV-Story im deutschen
Wohlstandsheim, elektronisches Schauspiel der Angst, der Grausamkeit und des Sterbens mitten im prallen Leben
des Volkes, aus dem die Täter einst kamen.
War das richtig? Die millionenfachen Fragen der Jungen, die Versuche einer Antwort der Älteren, die
Anteilnahme und die Betroffenheit nach Feierabend haben die Ausstrahlung von "Holocaust" in
Deutschland zu einem nationalen Ereignis gemacht.
Die Statistik der millionenfachen Mordziffern, ja selbst Dokumentationen konnten diese Wirkung nicht erzielen.
Die Vorstellungskraft der Menschen versagte vor diesem "Material".
Daß "Holocaust" nicht frei von dramaturgischen Sentimentalitäten war - egal. Daß kleine
historische Ungenauigkeiten nachgewiesen werden konnten - unwichtig. Daß Geld daran verdient wurde -
na, wenn schon. Daß einige SS-schwarze Raben den miesen Slogan von der "Beschmutzung des
eigenen Nestes" krächzten - na und? Daß draußen im Ausland an deutsche Schuld erinnert
worden war - ein Preis, klaglos zu entrichten.
Es bedurfte des Beispiels einer Familie, der alles geschah, was Millionen geschehen ist, um uns genau dort zu
treffen, wo wir getroffen werden mußten: im Gefühl.
Denn wer diese Vergangenheit allein mit dem Verstand zu bewältigen suchte, mußte scheitern.
Die Regung der Herzen ist hier die Voraussetzung für die Nachdenklichkeit - und angesichts des Schicksals
der Familie Weiss das Gefühl: Mein Gott, sie ist wie die meine - wenn uns selbst das geschehen wäre!
"Holocaust" hat eine Erschütterung in Deutschland ausgelöst. Sie durchbrach Mauern des
Schweigens, Barrieren der Verdrängung und Verwehungen der Gleichgültigkeit.
Das hat weh getan.
Aber es war wie eine Wundreiztherapie, die einem Heilungsprozeß vorausgeht.
Viele junge Leute fragen: Wie konnte das geschehen? --
"Hörzu" Nr. 7 / 1979, S. 10-12:
Vier Fernseh-Abende, die Millionen erschütterten. Wie reagierten Jugendliche, die das Drama der
Judenvernichtung nur vom Hörensagen kennen können, auf diesen Fernseh-Schock?
Professor Heribert Heinrichs von der Hochschule in Hildesheim hat darüber, im Auftrag von HÖRZU,
Schüler, Lehrer und Studenten befragt.
Schon einmal, vor 18 Jahren, war für ihn die "Judenverfolgung im Hitler-Deutschland" Thema einer
Befragung in Schulen, im Auftrag des NDR nach einem Film im Schulfernsehen.
Prof. Heinrichs´ Eindruck damals: "Erschütterung - aber fassungsloses Schweigen."
Sein Fazit heute: "Überall lebhafte Diskussionen. Über die Frage: "Wie konnte es
geschehen?" Und immer wieder die Forderung: "Nie wieder!"
Die Fehler in dem "Holocaust"-Film, das "Hollywoodhafte", die Irrtümer im Detail -
all das interessiert junge Menschen wenig. Es kommt ihnen auf Grundfragen an.
Typisch ist die Aussage von Ulrich Weinert, 24, Student aus Darmstadt: "Unfaßbar, daß so
viele ältere Menschen beteuern, erst nach dem Krieg über das ganze Ausmaß der Gasmorde informiert
worden zu sein! Gerade in autoritären Systemen gibt es doch Mundpropaganda!"
Ohne die Verbrechen entschuldigen zu wollen, sehen auch schon Schüler die Vernichtung von Menschen durch
Menschen in weltweiten Zusammenhängen. Wie zum Beispiel Hannes Kleinsorg, 16, aus Himmelsthür:
" "Holocaust" gibt es auch heute noch. Gestern sah und hörte ich im Fernsehen, daß
in Kambodscha rund zwei Millionen Menschen umgebracht worden sind!"
Und der gleichaltrige Schüler Dietrich Draeger aus Hildesheim sagt: "Was damals geschah, ist
sicherlich der Tiefstpunkt der Menschheitsgeschichte. Aber "Holocaust" ist überall potentiell
da. Deshalb brauchen wir ständig Aufklärung. In der Schule haben wir dieses Thema erst ab
Klasse 10 behandelt. Das ist zu spät und zu wenig!"
Dazu Oberstudienrat Dr. Heinz Zumfeld, 51, vom Kreisgymnasium Heinsberg: "Die Fragen der Schüler
werden intensiver, unnachgiebiger, grundsätzlicher. Unsere Schule muß, was Themen wie diese betrifft,
mehr tun als bisher."
Und Lehrer Nikolaus Winkler, 34, aus Hildesheim sagt: "Wir waren in der Schule mit unseren Texten und
Bildern zu diesem Thema vielleicht zu abstrakt. Ich habe meiner Klasse Dokumentationsmaterial gezeigt -
wir haben dieses Thema "abgehakt", aber nicht gelernt. Bei "Holocaust" wurde die
Katastrophe personifiziert. Das ging einem in die Magengrube."
Für die Erschütterung vieler Jugendlicher durch "Holocaust" hier ein typisches Bekenntnis -
das der Studentin Ursula Heims, 20, aus Göttingen: "Bei einem Dichter habe ich mal gelesen,
daß man nach Auschwitz kein Gedicht mehr schreiben könne. Unsere Medien aber konnten nach
"Holocaust" zu ihrer üblichen Unterhaltungsgaudi zurückkehren."
Bei vielen jungen Leuten herrscht ein Gedanke vor: "Was können wir tun, um eine Wiederholung
solcher Unmenschlichkeiten zu verhindern?"
Dazu Student Jürgen Schoetensack, 19, aus Hegne/Bodensee: "Die Diktaturen sind es, die solches
möglich machen. Der Film ist Mahnung, sich niemals totalitären Anschauungen eines Einzelnen oder
einer Gruppe zu unterwerfen."
Viele junge Menschen sind sich jedoch fast sicher, daß hier und heute kein neues "Holocaust"
entstehen könnte.
Michael Klose, 19, Student aus Bochum, meint dazu: "Die jüngere Generation ist widerstandsfähiger
gegen Demagogen geworden. Ich glaube nicht, daß wir heute so leicht einem Hitler folgen würden."
Und wieder stellen Schüler und Studenten an sich selber und an uns alle die Forderung:
"Paßt auf - wehret den Anfängen!"
Dietmar Kimmel, 24, Student der Pädagogik aus Salzgitter, sagt dazu: Ich sehe meine persönliche
Lebensaufgabe demnächst als Lehrer darin, gegen den "Hitler in uns", gegen den Verfall des
Menschen ins Teuflische zu kämpfen."
Wo die teuflischen "Anfänge" unter anderen zu suchen sind, sagt Helga Wildfeuer, 22,
Pädagogik-Studentin aus Bockenem: "Es ist die Sprache der "Henker". Dieses teuflische
Deutsch! Endlösung - Parasiten - Sonderbehandlung - Untermensch - Bakterienträger -
Umsiedlungsaktion - hier erweist sich Sprache als brutale Wirklichkeit.
Durch "Holocaust" wurde mir klar, wie schnell bestimmte Wörter ins Verderben führen.
Und wie sehr wir darauf achten müssen, was einer meint, wenn er etwas sagt. Damit wir nicht erneut
durch die "Sprache des Unmenschen"ins Chaos geführt werden."
Dieser Film hat uns alle aufgewühlt und nachdenklich gemacht
-- "Hörzu" Nr. 7 / 1979, S. 137:
Wenn ich "Auschwitz" höre, schäme ich mich, ein Deutscher zu sein. Ich schäme mich
seit 34 Jahren und nicht erst seit "Holocaust". Ich schäme mich auch über die Reaktion
der meisten - überwiegend älteren - Deutschen, die ich kenne. Sie werfen "Dresden"
und "Auschwitz" in einen Topf. "Dresden" war grauenhaft, aber genau wie
"Coventry" - nur eine der vielen traditionellen Grausamkeiten in grausamen Kriegen.
Für "Auschwitz" aber gibt es kein Wort, in keiner menschlichen Sprache!
Das ist der Unterschied!
-Artur H. aus L.-
Dieser Film hat uns alle betroffen gemacht und aufgewühlt.
-W. Peters aus Bad O.-
Ich fürchte, dieser Film warf uns - gewollt oder ungewollt - zurück: Wir müssen wieder bei
der Stunde Null, d.h. im Jahr 1945, anfangen. 35 Jahre versuchter Vergangenheitsbewältigung waren
vergeblich, und mühsam entstandene Sympathien des Auslands wurden zunichte gemacht.
-Anneliese K. aus Kiel-
Bisher war ich immer der Meinung, daß auch Kriegsverbrechen allmählich verjährt sein sollten.
Nachdem ich diesen Film gesehen habe, bin ich anderer Auffassung.
-Ingrid K. aus Friedberg-
Man sollte solche Filme in Deutschland nicht aufführen. Sie erzeugen höchstens wieder Haß.
Den Juden nützen solche Filme bestimmt nicht.
-Theo B. aus A.-
Der Film war dringend notwendig. Doch kann man ihn nicht eher senden? Vor allen Dingen, wenn interessante und
lehrreiche Diskussionen folgen.
-Stephanie B. (17) aus R.-
Es nützt nichts, die Augen zu verschließen vor einer derartigen Grausamkeit. Wir alle dürfen
jedoch nicht dem Irrtum erliegen, zu glauben, daß die Nazi-Zeit in unserem Denken schon verarbeitet ist.
Eine derartige Gefahr kann jederzeit wieder auf uns zukommen.
-Gabriele O. aus Münster-
Eine Mutter rief mich weinend an, um mir mitzuteilen, daß sie ihre Tochter angeschrien habe, sich
gefälligst "Holocaust" anzusehen. Mutter (48), Vater (58) - seinerzeit Pilot einer
Fernaufklärerstaffel - Tochter (20 Jahre alt).
-Jürgen König aus Bad O.-
Nach den "Holocaust"-Filmen hatte der WDR es gemacht wie die Amerikaner nach "Roots" und
"Exodus": In Diskussionsrunden wurden Meinungen der Zuschauer verlesen. Beim WDR in Köln bekam ich
erst am Vormittag um 11.55 Uhr Verbindung, um mir anhören zu müssen: "Der zuständige Herr ist
zum Mittagessen, ich verbinde weiter." Als ich das monierte, sagte mir eine männliche Stimme:
"Jeck Alt´, jon auf die Hohe Straße und laß dir fünf Mark geve."
-Margot M. aus St. Augustin-
Ich wollte die Telefonnummer für "Holocaust" erfahren, rief den NDR an, bekam die Pressestelle.
Dort erklärte man mir, daß die gewünschte Nummer nicht bekannt sei. Wieder zur Vermittlung.
Die Dame dort verstand bei "Holocaust": "Welche Kosten meinen Sie?"
-P. A. T. aus Hamburg-
"Holocaust" hat mir zum Nachdenken verholfen. Das ist für mich das größte Lob,
das ich einem Film machen kann.
-Isabell F. aus H.-
Dieser Film zeigte die absolute Macht der Führung und die Ohnmacht des Volkes. Ich erinnere mich,
daß meine Mutter damals, als sie unsere Ration Milch einkaufte, einmal sagte: "Einen Liter
Hitler-Milch, bitte!" Sie wurde deshalb angezeigt und mußte 14 Tage lang immer bei der Kreisleitung
der Partei den Satz aufsagen: "Ich kaufe keine Hitler-Milch, ich kaufe entrahmte Frischmilch."
-Hildegard F. aus Heilbronn-
Eine Aufführung "Nathan der Weise" von Lessing korrigiert die schrecklichsten Verirrungen und
Haßprobleme eher als eine Flut"Holocaust"-Vorführungen mit endlosen Diskussionen ohne
sichtbaren Ausweg. Aber der Filmmacher von "Holocaust" ist eben kein Lessing, und einige
Diskussionsteilnehmer erschienen leider nicht viel anders als Daja im "Nathan" bereit, alle
Deutschen über einen Kamm zu scheren.
-Erhard B. aus Siegen-
Ich verstehe nicht, daß es in der Bundesrepublik immer noch eine erlaubte Partei gibt, die doch die
gleichen Ziele verfolgt wie die Machthaber von damals.
-Daniela von G. aus S.-
Eine neue Generation ist vorhanden, und diese Generation hat nichts mit den Schandtaten der Nazis zu tun.
-Doris B. aus N.-
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