2001: 11. September, 41-44     
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Liebe Leserinnen und Leser! -- "HÖRZU" Nr. 39 vom 21.09.2001, S. 5:

"Sie waren zur Arbeit gegangen. Das war alles, was sie getan hatten. An einem wunderschönen Morgen in New York." Mit diesen Worten beschrieb Senatorin Hillary Clinton das Schicksal Tausender unschuldiger Menschen, die zu Opfern der Terrorakte in den USA wurden. Auch wir in der HÖRZU-Redaktion waren bei unserer Arbeit an diesem 11. September gegen 15 Uhr. Die erste Ausgabe des Heftes, das sie nun in den Händen halten, war bereits so gut wie fertig, das Titelbild mit der wunderschönen Schauspielerin Halle Berry schon im Druck. Da aber in der Redaktion einer TV-Zeitschrift ständig viele Fernsehgeräte laufen, wurden wir sehr schnell Zeugen der Ereignisse in den USA. In Gruppen verfolgten die Kollegen die perverse Choreografie des Schreckens - und so geschockt wie wir starrten in den nächsten Stunden Millionen von Fernsehzuschauern auf das Drama, das über die Bildschirme zu uns kam. Es war eine bittere Stunde auch für das Medium Fernsehen, obwohl viele Reporter, Kameraleute und Moderatoren phantastisch arbeiteten. Denn die schreckliche Faszination, die uns alle bannte, genau sie hatten die Terroristen einkalkuliert. Auf den HÖRZU-Sonderseiten zum "Terror im TV" beleuchten wir Hintergründe und Folgen dieser Inszenierung: den Missbrauch des Mediums Fernsehen, die Gefühle der hilflosen Zuschauer, die Arbeit der Reporter. Wir hoffen, dass wir damit einige der vielen Fragen beantworten können, um die unser aller Denken kreist und noch lange kreisen wird. Doch der Schrecken und seine Folgen werden noch lange nachwirken. Bitte haben Sie deshalb auch Verständnis dafür, dass wir Ihnen das TV-Programm in diesen Zeiten nur unter Vorbehalt präsentieren können, weil fast alle Sender ihr Programm wegen der aktuellen Ereignisse immer wieder umkrempeln.

Aus Anlass der schrecklichen Ereignisse in den USA erweiterte der Axel Springer Verlag, in dem HÖRZU erscheint, seine Unternehmensgrundsätze um "die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika".

-Ralf Klassen, stellv. Cheferedakteur-

Albtraum live -- "HÖRZU" Nr. 39 vom 21.09.2001, S. 6-8:

Den Menschen stockte der Atem, das Fernsehen blieb gefasst. Wie Deutschland den Anschlag in den USA am Bildschirm erlebte:

Als das Grauen kam, da kam es nicht wie sonst. Nicht so, wie wird es von Bombenanschlägen, Zugunglücken, Flugzeugabstürzen kennen. Das Grauen war diesmal anders. Zu groß, um es zu begreifen, zu unglaublich, um es zu fassen. Aber vor allem war es: raffiniert. Es kam daher wie die Inszenierung eines teuflischen Regisseurs, der seine Vorstellung mit einem Paukenschlag beginnt, so gellend laut und entsetzlich, dass eine Steigerung gar nicht möglich erscheint. Und der erst dann, wenn er sich der Aufmerksamkeit auch des Letzten im Publikum gewiss ist, wenn er die ganze Welt wie mit einem höhnischen "Seid Ihr alle da?" zusammengetrommelt hat, sein höllisches Szenario vollendet. Die Menschen erstarren vor Entsetzen im Angesicht dieser Inszenierung. Doch sie können die Augen nicht davon lassen. Und erst durch die Endlosschleife des Fernsehens dringt die Botschaft langsam ins Bewusstsein. Und lässt es nie wieder los.

Heinrich Breloer war auf dem Weg zum Optiker, als das Grauen ihn aus seinem Alltag riss. Der Dokumentarfilmer und Autor des Entführungsdramas "Todesspiel" hatte sich versehentlich auf seine Brille gesetzt, das Gestell war verbogen. In der Kölner Ehrenstraße kam er an einem Café vorbei, in dem sich Menschen vor einer Großbildleinwand versammelt hatten. "Ich dachte, was ist denn hier los, und dann sah ich schon die Bilder des brennenden Towers. Jemand erzählte mir, dass dort gerade ein Flugzeug hineingeflogen und als Feuerball wieder ausgetreten sei. Ich konnte es nicht glauben, es waren Szenen wie aus einem Hollywood-Film. Der eigentliche Schrecken steckte in diesem kleinen eingeblendeten Wörtchen "live".

Albtraum live. Wohl nie zuvor in der Geschichte des Fernsehens haben spontan so viele Menschen zur selben Zeit dieselben Bilder verfolgt wie beim Terroranschlag auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Washington.

Irgendwann bekam jeder den Anruf: Mach mal den Fernseher an!

Ob zu Hause oder im Büro, irgendwann an diesem Nachmittag des 11. September erreichte jeden ein Anruf oder der Zuruf eines Kollegen: Mach mal den Fernseher an! Wer unterwegs war, versuchte, in Kneipen, Geschäften oder an öffentlichen Plätzen mit Großbildschirmen dem Unfassbaren zu folgen.

"Die Leute sind aus den Zügen direkt zu unserer Leinwand gestürmt", sagt Stefan Zieselmaier, Manager des Hauptbahnhofs Leipzig. "Manche haben regelrecht ihr Lager aufgeschlagen, stundenlang auf dem Boden gesessen und auf den Monitor gestarrt." Martin Thomas, Verkäufer in der Fernsehabteilung vom Münchner Media-Markt, kam aus der Mittagspause und sah, dass sich sämtliche Kunden vor den etwa 400 Bildschirmen versammelt hatten. "Die Leute waren geschockt und kaum ansprechbar. Verkauft haben wir an diesem Tag so gut wie nichts mehr."

Die Schauspielerin Leslie Malton, in Washington geboren und amerikanische Staatsbürgerin, befand sich in einem Frankfurter Kaufhaus, als die Nachricht von der Katastrophe sie per Handy aus den USA erreichte. "Ich bin sofort ins Hotel gefahren und habe den Fernseher eingeschaltet. Immer wieder habe ich zwischen ARD und ZDF, CNN und n-tv hin und her gezappt. Von halb fünf nachmittags bis morgens um drei. Was mir auf dem Bildschirm wie eine Computeranimation erschien, wurde erst am nächsten Tag real, als ich ins Freie trat und auf den Frankfurter Messeturm blickte. Plötzlich musste ich mir vorstellen, wie es ist, wenn in ein solches Gebäude ein Flugzeug rast."

So fassungslos die Zuschauer, so gefasst agierten die Macher in den Fernsehanstalten, die sofort live auf Sendung gingen. Wer in den ersten Minute dem abgeklärten Ton der CNN-Kommentatoren lauschte, während im Hintergrund die Flammen loderten, war befremdet über so viel Nüchternheit.

Wie viel menschlicher erschien da der Auftritt einer jungen Frau, die am späten Nachmittag beim ZDF auf dem Bildschirm erschien. Mit einer Jeansjacke bekleidet, den Staub nur notdürftig aus dem Gesicht gewischt und noch völlig aufgelöst, berichtete Julie von Kessel, Redaktionsassistentin im ZDF-Studio New York, wie sie gerade dem Tod entronnen war.

Sie hatte sich trotz Warnungen der Sicherheitskräfte nah an das World Trade Center gewagt, um Eindrücke zu sammeln - und musste plötzlich vor dem einstürzenden Turm um ihr Leben rennen. Die 28-jährige, Schwester der Schauspielerin Sophie von Kessel, rang vor der Kamera mit den Tränen. Und mancher Zuschauer auch: Da hatte plötzlich ein kleines Stück dieses unendlichen Leids, eine Ahnung davon, Einzug gehalten in die sterilen Räume eines Fernsehstudios - und die Katastrophe für einen Moment greifbar gemacht.

Deutschlands Nachrichtenmoderatoren gaben sich trotz der Ausnahmesituation so, wie man sie kennt: sachlich, seriös und souverän. Zwar hätten die Bilder ihm immer wieder Schauer über den Rücken gejagt, sagt ZDF-Moderator Wolf von Lojewski, der genau wie seine Kollegen Ulrich Wickert (ARD) und Peter Kloeppel (RTL) lange Zeit als Korrespondent in Amerika gearbeitet hat. "Aber als Journalist lernt man, solche Gefühle im Dienst zu unterdrücken; man betäubt sie mit Arbeit."

Lojewski, der sich auf die Moderation des "heute-journals" beschränkte, kam deutlich ausgeschlafener daher als Ulrich Wickert, dem man nach mehrstündiger Bildschirmpräsenz die spätabendliche Ablösung durch Anne Will gönnte. Wickert überzeigte wiederum durch seine souveräne Einordnung, als er Bilder von jubelnden Palästinenserkindern aus dem Westjordanland relativierte: Man dürfe daraus nicht folgern, dass die gesamte arabische Welt so denke. Peter Kloeppel bestritt auf RTL sieben Stunden am Stück, ohne Werbeunterbrechung, und behielt im Chaos von Einspielungen und Interviews stets den Überblick. Die eigentliche Überraschung aber war Steffen Seibert vom ZDF (s. unten). Wer hätte gedacht, dass der bisher eher unauffällige Mann mit dem jungenhaften Gesicht eine derartige Krisensituation so professionell meistern würde?


Wenn es ernst wird, vertrauen die Deutschen auf ARD und ZDF

Was hat dieses Drama noch gezeigt? Dass die Deutschen, wenn es ernst wird, den Öffentlich-Rechtlichen vertrauen. Am Tag der Katastrophe sahen 9,91 Millionen Menschen die "Tagesschau" der ARD; das entspricht einem Marktanteil von mehr als 30 Prozent - an anderen Tagen hätten die Sektkorken geknallt. Zur "heute"-Sendung im ZDF schalteten 7,89 Millionen ein. Aber auch "RTL aktuell" hatte stolze 5,66 Millionen Zuschauer.

Nebenbei erhielt das Publikum an diesem so ganz anderen Fernsehtag beim Durchschalten mit der Fernbedienung noch etwas Nachhilfe in Sachen Medienkonzentration. Die zur Kirch-Gruppe gehörenden Sender SAT.1, Pro Sieben, Kabel 1 und N 24 zeigten ab 19 Uhr identisches Programm. Auch bei RTL, RTL2 und Vox unterschieden sich die Bilder nur durch das Logo.

Und noch etwas brachte die Katastrophe mit sich: Die Spaßgesellschaft hielt für einen Moment den Atem an. SAT.1 setzte "Die Harald Schmidt Show" aus, RTL verzichtete auf "7 Tage - 7 Köpfe". TV-Komiker Oliver Kalkofe, dem sonst im Fernsehen nichts heilig ist: "Das war angesichts dieser schrecklichen Tragödie völlig angemessen."

-Uwe Rasche, HÖRZU-

==> Tagesschau vom 11. September 2001

Der Schock kommt erst später -- "HÖRZU" Nr. 39 vom 21.09.2001, S. 8:

Souverän: Steffen Seibert moderierte im ZDF

Der Terror der vergangenen Woche hat auch die Fernsehsender völlig unvorbereitet getroffen. In den Stunden des Chaos den Überblick zu behalten und den Zuschauer behutsam durch die schrecklichen Ereignisse zu führen, ist einem besonders gut gelungen: dem ZDF-Moderator Steffen Seibert.

"Ich hatte gar keine Zeit zum Nachdenken. Als der Anruf kam, bin ich losgerannt. Zehn Minuten später war ich auf Sendung." Steffen Seibert (41) ist das Allround-Talent des ZDF: Immer wenn es heikel wird, übernimmt der smarte Redaktionsleiter von "ZDF.reporter" den Job vor der Kamera - ob beim Unglück von Eschede, dem Untergang der "Kursk" oder der US-Präsidentenwahl.

Was ihn am 11. September erwartete, konnte er nicht ahnen: "Bei allem, was ich in den vergangenen Jahren gemacht habe: Nichts davon hatte das Ausmaß dieser Katastrophe." Nach der ersten Nachricht blieb dem Moderator gerade genug Zeit, sich einen Anzug zu schnappen und mit einer sechszeiligen Agenturmeldung ins Studio zu rennen, bevor er Minuten später auf Sendung ging.

"Beim ersten Flugzeug dachte ich noch, was für ein schrecklicher Unfall. Alles Weitere habe ich dann per Knopf im Ohr erfahren - also fast wie ein Zuschauer erlebt - und habe die Nachrichten eigentlich nur weitergegeben." Seine Erschütterung hat sich der ehemalige USA-Korrespondent dabei nicht anmerken lassen: Souverän leitete er sein Publikum durch die Sendung, die immer wieder auf Zuruf verlängert wurde - bis Seibert am Ende beinahe sieben Stunden vor der Kamera gestanden hatte.

"80 Prozent der Zeit habe ich einfach funktioniert", sagt Seibert, "dabei war ich alles andere als emotionslos. Ich war selbst Dutzende Male im World Trade Center und im Pentagon, ich habe Freunde in Washington und New York und musste immer wieder an sie denken." Der Schock kam erst später - denn Zeit, die schlimmen Ereignisse zu verarbeiten, blieb höchstens in den kurzen Pausen für die "heute"-Nachrichten.

Beeindruckt von der Leistung des jungen Moderators zeigte sich auch Helmut Reitze, Leiter der Redaktion "Aktuelles" beim ZDF: "Er ist flexibel, einfühlsam und extrem nervenstark - einfach der Beste für solche Aufgaben. Wäre er nicht da gewesen, hätten wir ihn einfliegen lassen."

Über so viel Lob kann sich Seibert jedoch nur eingeschränkt freuen: "Darum ging es wirklich nicht. Es war auch für mich ein schreckliches Ereignis - und kein Anlass zur Profilierung." Was auch Tage nach den Terror-Anschlägen auf New York und Washington bei ihm zurückbleibt, ist eine "ganz diffuse Angst", sagt der Vater von zwei Kindern. "Ich dachte nur: Gut, dass meine Familie hier in Sicherheit ist. Aber ich frage mich: Ist sie das wirklich?"

-Christina Schott, HÖRZU-

Wie können wir das ertragen? -- "HÖRZU" Nr. 39 vom 21.09.2001, S. 10:

Der Medienpsychologe Peter Vitouch über den Schrecken am Bildschirm


New York und Washington an diesem 11. September: Nie hat die Welt einen ähnlich hinterhältigen Anschlag erlebt - und nie wurden wir so unmittelbar Zeuge des Schreckens. "Das ist Krieg", hören wir den amerikanischen Präsidenten George W. Bush sagen. Jetzt. In diesem Moment - während wir fassungslos in unseren Büros und Wohnstuben vor dem Bildschirm sitzen. Wie kann der Mensch mit diesen Bildern fertig werden? Können wir solche Ängste überhaupt ertragen? HÖRZU sprach mit dem Wiener Medienpsychologen Peter Vitouch.

HÖRZU: Herr Professor Vitouch, wie wirkt dieser Fernsehtag nach? Wird unser Leben jemals wieder so sein, wie es war?
Peter Vitouch: Da wird eine große Verunsicherung, da werden verdeckte Ängste bleiben. Wenn sich früher Katastrophenfilme aus Hollywood in solche Phantasien verstiegen, haben das besonnene Menschen ja schon als widerlich und unverantwortlich empfunden. Jetzt musste die Welt mit ansehen, wie aus Fiktion Wirklichkeit wurde. Wenn das möglich ist, sagt sich doch jeder, ist alles andere auch möglich. Was bleibt dann noch an Sicherheit?
HÖRZU: Live dabei zu sein - was das nicht eine besondere Qual?
Peter Vitouch: Ja. Gerade das war ja auch die teuflische Dramaturgie der Terroristen. Sie lenken das erste Flugzeug in einen der Doppeltürme. Sie wissen, dass sich jetzt die Kameras auf den Brandherd richten. Und dann muss Amerika, muss die ganze Welt mit ansehen, wie das zweite Flugzeug kommt und in dem zweiten Turm explodiert. Diese Bilder hatten eine extrem emotionale Wirkung.
HÖRZU: Glauben Sie, dass die Terroristen das weltumspannende Medium Fernsehen bewusst eingeplant und benutzt haben?
Peter Vitouch: Davon gehe ich aus. Denn wie kann man eine Nation, wie die ganze Welt mehr schockieren und demütigen, als wenn man sie live an dem Attentat teilnehmen lässt und ihnen so ihre Ohnmacht vor Augen führt.
HÖRZU: Wie empfindet der Einzelne vor dem Fernseher diese Hilflosigkeit, wie reagiert er?
Peter Vitouch: Emotionale Symptome kennen wir aus dem klinischen Bereich. Zuerst reagiert der Mensch mit starken mit starken Aggressionen. Er will sich wehren, losschlagen. So sind ja auch in New York junge Männer durch die Straßen gerannt, wollten Gewehre, um zurückzuschlagen. Erkennt der Mensch aber, dass er nichts tun kann, verfällt er in Apathie, die in Depressionen enden kann.
HÖRZU: Wie gefährdet sind Kinder in solchen Situationen?
Peter Vitouch: Das haben wir an unserem Institut in Wien nach dem Golfkrieg untersucht. Besonders schädlich ist es, wenn auch die Eltern massive Angst zeigen. Sie sollten Verlässlichkeit und Sicherheit vermitteln.
HÖRZU: Gemetzel in Afrika, Krieg auf dem Balkan oder in Tschetschenien: Wir haben schon grausamere Bilder gesehen.
Peter Vitouch: Die Mörder von New York und Washington aber haben einen Lebensnerv unserer Gesellschaft getroffen: unsere Mobilität. Fast jeder von uns ist schon geflogen. Jeden von uns kann es schon morgen in Berlin, Paris, London oder sonst wo treffen.
HÖRZU: Soll und darf das Fernsehen alles zeigen?
Peter Vitouch: Nahaufnahmen von Menschen, die in die Tiefe stürzen, verstärken die Ängste. Das ist unverantwortlich. Verarbeiten können wir das alles ohnehin nur, wenn wir mit anderen darüber reden.

-Interview: Norbert Scheid, HÖRZU-


Ein teuflisches Theater -- "HÖRZU" Nr. 39 vom 21.09.2001, S. 12:

So inszenieren Terroristen ihre Untaten für das Fernsehen

Wenn der Terroristenchef "Commander Robot" lächelt, dann sieht es aus, als würde er die Zähne fletschen. Und so fletschte er an einem Junitag im vorigen Jahr seine 21 Geiseln an - schon wochenlang hatte er sie gepeinigt - und verkündete: "Morgen kommen internationale Journalisten. Die ganze Welt soll sehen, wie schlecht es euch geht."

Die Teams kamen auf die Philippinen, besuchten das Camp im Dschungel - und mochten gar nicht mehr gehen. Allabendlich lieferten sie Fernsehbilder der schwer leidenden Renate Wallert ("Ich wollte sterben") und "Commander Robot" rieb sich die Hände: Stark und stolz war die Bundesregierung bis dahin gewesen. Nachgeben? Niemals! Aber dann, vom Mitleid der Öffentlichkeit zermürbt, lenkte sie ein. Der Terrorist erhielt die geforderten Millionen, die Geiseln kamen frei.

Ein Lehrstück. "Die Terroristen brauchen die Medien", sagt der Historiker Walter Laqueur, "und die Medien finden im Terrorismus alle Zutaten für eine spannende Story." Denn das ist der Unterschied zwischen Krieg und Terror: Terror kann allein nichts durchsetzen. Ob Geiselnahme, Bombenanschlag oder Flugzeugentführung - die Tat selbst bewirkt nicht genug, dazu brauchen die Täter Verstärkung, vor allem durch das Fernsehen. Die Medien, sagte die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher, "liefern den Sauerstoff der Publizität, von dem die Terroristen abhängen."

War es Zufall oder nicht - sie starteten fast zur gleichen Zeit: "Early Bird", der erste kommerzielle Satellit, wurde 1965 ins All geschossen und verbreitete von nun an Fernsehbilder um die ganze Welt. Und nur drei Jahre später begannen die Palästinenser, Verkehrsflugzeuge zu entführen. Das war die Geburtsstunde des internationalen Terrorismus. Im gleichen Maß, wie weitere Satelliten installiert wurden, steigerte sich auch die Zahl der Anschläge.

Schnell lernten politische Gewalttäter vor allem im Nahen Osten, ihre Taten fernsehgerecht zu inszenieren. "Terrorismus ist Theater", stellte der amerikanische Soziologe Brian Jenkins fest. So führten bei der Entführung des TWA-Fluges 1985 nach Beirut arabische Absolventen amerikanischer Journalistenschulen eine teuflische Regie, um die US-TV-Sender für ihre Sache zu missbrauchen. "Schieß doch nicht, Abdul", sagte sarkastisch der Terrorexperte Bowyer Bell, "es ist noch nicht Hauptsendezeit!" Die Taktik ging anfangs sogar auf: "Als wir das erste Flugzeug entführt hatten", gab ein Palästinenserführer zu, "haben wir das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit besser erreicht als durch 20 Jahre Apelle an die UNO."

Dennoch wird kein Zuschauer durch Berichterstattung von den Zielen der Mörder überzeugt, das haben Umfragen belegt. Ebenso deutlich hat sich aber auch gezeigt, dass von der Darstellung brutaler Gewalt eine starke Faszination ausgeht - überall auf der Welt liefen die Fernseher, als jetzt in New York der Terrorismus seinen Gipfel erreichte: Selbst unten im World Trade Center betrachteten Menschen den ersten Akt des genau inszenierten Anschlags auf dem Bildschirm - und sahen zu, wie das zweite Flugzeug oben in ihr Gebäude einschlug. Soll man das Fernsehen verantwortlich machen? Nur Diktaturen kennen keinen Terror, denn sie stellen solche Ereignisse unter Zensur. "Terrorismus ist ein Produkt der Freiheit", sagt der Experte Brian Jenkins, "insbesondere der Pressefreiheit."

Kann man dann also dem Terrorismus die Show stehlen, ihn abstellen, wenn man ihm die Bühne nimmt? Das geht nur, wenn wir dafür eines der wichtigsten Grundrechte, das Recht auf Information, opfern - und das wäre die teuflischste Inszenierung der Mörder und Erpresser: wenn sie es schafften, dass wir einen anderen, einen Staat mit eingeschränkten Grundrechten zulassen.

-Walter Karpf, HÖRZU-

Zerbrechliche Welt -- "HÖRZU" Nr. 39 vom 21.09.2001, S. 28:

Zu den Terrorangriffen in den USA

Diese furchtbaren Terroranschläge haben alles in den Schatten gestellt, was man sich in der Phantasie je ausmalen konnte. Sie führten jedem fernsehlive und und erschütternd hautnah vor Augen, wie zerbrechlich unsere Welt geworden ist.
-Angelika K. aus Dortmund-

Während ARD, ZDF und sogar RTL bereits ihr Programm umstellten und in Sondersendungen über die Tragödie am World Trade Center berichteten, strahlte SAT.1 erst mal weiter die "Richterin Barbara Salesch" aus - sogar noch mit Werbung. Unglaublich, dass man dort so spät schaltete.
-R. Köhler aus R.-

Hochachtung vor dem Sender Viva, der aus "Respekt vor den aktuellen Geschehnissen" sein Programm aussetzte. Dieses äußerst selten zu findende Taktgefühl fehlt wohl einigen anderen Sendern wie DSF oder Eurosport.
-Dr. Rolf H. aus K.-

Vivas Verhalten empfinde ich als wichtiges Signal an die Zielgruppe des Senders, die vorwiegend aus Jugendlichen und jungen Erwachsehen besteht: Es gibt Anlässe, da muss das Laute und Schrille dem Stillen und Würdevollen weichen.
-Karin Schneider aus S.-

MTV spulte an diesem schicksalsträchtigen Abend munter sein Programm ab. Sicherlich waren manche unbedarften Kleingeister dankbar dafür.
-Peter L. aus Gießen-

Ich bin tief entsetzt über diese grausamen Taten. Man kann so etwas nicht in Worte fassen, aber ich möchte allen Opfern und Angehörigen mein tiefes Beileid mitteilen. Ich finde, dass das ZDF einen immer sehr gut über die neuesten Meldungen informiert hat, auch wenn es für die Moderatoren oft sehr schwer ist, ihren Gefühlen nicht einfach freien Lauf zu lassen.
-Stefan H. (14 Jahre) aus Lemgo-

In der Stunde, in der alle Welt über die Opfer der verbrecherischen Taten trauert und andere Sender den Trauergottesdienst aus der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin übertragen, sendet SAT.1 unbekümmert seine Talkshow "Franklin - Deine Chance um 11", in der locker herumgealbert wird. Empörend, dass Einschaltquoten den Vorrang vor Mitgefühl haben.
-S. Förster aus Heidenheim-

Nicht vorstellbar, dass das Fernsehen künftig noch Katastrophenfilme wie "Independence Day" oder Actionfilme mit Terroristen senden kann. Aber vielleicht geht man ja auch ganz schnell wieder zur Tagesordnung über - weil die Spaßgesellschaft ihr Recht einfordert.
-Irene H. aus Berlin-

Kommentar: Schluss mit lustig -- "HÖRZU" Nr. 39 vom 21.09.2001, S. 106:

Es war Dienstag, der Tag des Terrors - aber die Athener freuten sich wie blöd über ihr 2:0 gegen Schalke 04. RTL übertrug das Spiel, doch ansonsten bestimmten die Ereignisse von New York und Washington das Programm. Dieter Gorny schaltete seinen Musiksender Viva ab, Harald Schmidt zog sich für ein paar Tage zurück, und die meisten Fernsehsender ließen Shows und Tralala erstmal im Archiv. Wie lange mag die Ernüchterung anhalten? "Es ist das Ende der Spaß-Gesellschaft", verkündete der Nahost-Kenner Peter Scholl-Latour mit grimmiger Miene. Vermutlich hat er Recht. Und irgendwie hätte das auch sein Gutes.

-mt, HÖRZU-


Tagebuch aus New York -- "HÖRZU" Nr. 40 vom 28.09.2001, S. 18-20:

Werbetexterin Imke Jungnitsch (32) aus Berlin arbeitet oft in New York - diesmal sollte es ein Urlaub sein. Dann kam der Terror - und nichts ist mehr, wie es war. Ein Protokoll über die Tage danach

MITTWOCH, 12.9. Der Tag nach dem Terror. Die meisten Büros bleiben geschlossen. Die Angst vor einem weiteren Anschlag ist zu groß. Ich treffe meine Freundin Svenja. 45 Minuten müssen wir warten, bis wir einen Platz im Time Café auf der Upper Westside ergattern. Während Downtown im Grauen versinkt, sieht es hier aus wie an einem ganz normalen Sonntag: Menschen versammeln sich in Cafés, um zu reden. Über das Unfassbare, das alles verändert hat. Jeder hat seine Geschichte, jeder kennt jemanden, der vermisst ist. Maxi, ein Freund von Svenja, kommt vorbei. Er lebt noch, weil er gestern zu spät zur Arbeit ging. Er betrat das World Trade Center erst, als gerade der zweite Flieger hineindonnerte und konnte so den Trümmern des zusammenbrechenden Gebäudes gerade noch entkommen. Heute sucht er nach neuen Büroräumen. Inzwischen hat der Wind gedreht, wir beginnen den Rauch zu riechen, der 80 Straßen weiter unten aus dem gewaltigen Schutthaufen quillt. Abends lese ich noch einmal nach, was George W. Bush gestern im Fernsehen sagte - und mir ist schleierhaft, wie schnell er die tiefe Trauer der Menschen hier in verletzten Vaterlandsstolz umformuliert. Aber es funktioniert: Der Präsident schafft es, den Kampfgeist der Amerikaner zu mobilisieren. Heute sehe ich bereits die ersten New Yorker mit Flaggen durch die Gegend laufen.

DONNERSTAG, 13.9. Die New Yorker wollen endlich was tun. Sie überrennen das Javits Center, stehen Schlange vor den Listen, in die sie sich für freiwillige Hilfsarbeiten eintragen wollen. Ich bin ebenfalls auf dem Weg dahin, als mich Freunde anrufen: "Wir werden hier nicht gebraucht, es gibt schon zu viele." Auch mit Blutspenden können wir nicht mehr helfen: Die Blutbanken der Krankenhäuser sind übervoll. Und vor allem: Es gibt immer noch keine weiteren Überlebenden, die damit gerettet werden könnten. Auf den Straßen ist keiner, der heute keine Flagge oder ein mit Stars and Stripes geschmücktes Kleidungsstück spazieren tragen würde. Auf der Houston Street im Stadtteil SoHo kommt mir ein Trupp entgegen, der wütend "USA! USA!" brüllt. Unheimlich. Überall, so ist zu hören, werden muslimische Amerikaner bedroht. Die New Yorker Taxifahrer, fast alle Moslems oder Sikhs, sind voller Angst; ihren berüchtigt-rasanten Fahrstil haben sie abgelegt. In Midtown gibt es immer wieder Bombenalarm. Ein Gebäude nach dem anderen wird evakuiert. Meine U-Bahn fährt einfach weiter, obwohl ich an der Grand Central Station hatte aussteigen wollen. Bombenalarm!

SAMSTAG, 15.9. Trish hat sich entschlossen, ein Barbecue für Freunde zu veranstalten. Und - erstaunlich für New York - jeder hat Zeit. Trish ist ungefähr so alt wie ich, mit Paul verheiratet und lebt in Hoboken, New Jersey, direkt gegenüber von Manhattan auf der anderen Seite des Hudson River. Paul arbeitet im Financial District und ist wie Maxi nur entkommen, weil er schnell rennen konnte. Gemeinsam blättern wir die "New York Times" vom Mittwoch durch, eine Seite ist grob mit Tesafilm zusammengeklebt. Es ist die Seite, auf der die jubelnden Palästinenserkinder abgebildet sind. Trish hatte sie im Zorn zerrissen. Sie beginnt auch jetzt wieder, auf die Seite einzuschlagen. "Ich will, dass sie alle verrecken", brüllt sie, "mir ist es egal, ob ihre Frauen und Kinder auch verrecken. Um unsere haben sie sich ja auch nicht geschert!" Ich bin erschrocken. Paul bringt mich zum Schweigen. "Das verstehst du nicht. Du warst nicht mittendrin. Da war jemand, der wollte Leute wie mich umbringen. Nicht irgendjemanden. Mich!" Ich schlucke und begreife: Dieser 11. September hat die Menschen hier verändert. Meine lieben, toleranten Freunde mit dem großen Herzen wollen Rache. Ihr Leben lang haben sie demokratisch gewählt - jetzt applaudieren sie dem Republikaner Bush, weil er Rache verspricht.

SONNTAG, 16.9. Wir gehen in die Kirche, in die irisch-italienische Gemeinde von Hoboken. Wir bitten um Vergebung, aber auch darum, dass wir vergeben können. Am Schluss des Gottesdienstes stimmt der Pastor eine Hymne an: God bless America, Gott segne Amerika. Ich bin unangenehm berührt. So etwas kenne ich nicht, ich komme aus Deutschland, da tut man so was nicht. Ich beobachte die Menschen in der überfüllten Kirche. Aus vollem Herzen singen sie mit. Plötzlich verstehe ich: Dieses Land ist aus einer Idee heraus geboren worden. Der Idee der Freiheit im Denken, Handeln und Glauben - egal, woher einer kommt, welcher Nationalität oder welchen Glaubens er ist. Daran glauben alle, die hier sind, und das wollen sie sich auch nicht nehmen lassen. Es sind die Grundwerte ihrer Gemeinschaft. Alle, die morgen wieder arbeiten müssen, freuen sich darauf. Endlich wieder etwas tun zu können.

MONTAG, 17.9. Es stellt sich heraus, dass die Wirtschaft den Kampfgeist wirklich bitter nötig hat: Die Eröffnung der Börse in der Wall Street war eine Katastrophe - trotz der feierlichen Gedenkminuten, trotz aller Entschlossenheit. Tausende werden in den nächsten Wochen ihren Job verlieren. Ich denke darüber nach, die amerikanische Economy zu unterstützen, indem ich ein paar Schuhe kaufe. Aber mir ist nicht nach modischem Fummel. Ohnehin verlasse ich das Haus in den nächsten Tagen nur noch in Schuhen, in denen ich notfalls schnell rennen kann. Mein Handy ist stets frisch aufgeladen, meine wichtigsten Unterlagen habe ich immer dabei. Darüber hinaus habe ich mir vorgenommen, meine Fertigkeiten in erster Hilfe aufzufrischen und die Kurse im Kickboxen wieder regelmäßig zu besuchen. Ob das was hilft?

DIENSTAG, 18.9. Die Horrorszene wurde gestern für die Öffentlichkeit ein bisschen weiter geöffnet. Zwischen Menschen mit großen Kameras schiebe ich mich durch die immer noch mit Schlamm überzogenen Straßen bis zur Liberty Street, die früher zum World Trade Center führte. Früher. Einige Häuser sind noch grau vom Staub. Fast-Food-Stände und Fotogeschäfte haben schon wieder geöffnet. Im Hintergrund das schwarze Skelett eines WTC-Turmes, das wie ein hohler Zahn aus dem Boden ragt. Im Vordergrund: der staubig-faulige Geruch, den ich nicht länger als zehn Minuten aushalte. Es lässt sich nicht leugnen: Hier liegen Tausende Toter unter Trümmern begraben und die Sonne scheint seit sieben Tagen darauf. Eine Japanerin bittet mich, ein Foto von ihr zu machen. Ich frage sie, ob sie das schwarze Skelett des Gebäudes lieber links oder rechts von ihrem Kopf haben will. Am Westside Highway hält mich ein Fernsehteam an: Ob ich wohl etwas zum neuen Einheitsgefühl der Amerikaner sagen könnte? Kann ich, antworte ich, ich bin aber Deutsche. Aber ich könnte dafür etwas darüber sagen, wie sehr die Deutschen mit den Amerikanern mitfühlen? "Oh! No thanks."

MITTWOCH, 19.9. Man fühlt sich nicht besser, sondern jeden Tag schlechter. Jeden Tag wird ein Stück grausame Realität aufgedeckt, die enthüllt, wie qualvoll die Menschen in den Trümmern ums Leben gekommen sind. Unter dem World Trade Center sollen Menschen gefunden worden sein, die noch eine Weile gelebt haben, ehe sie im brühend heißen Wasser des Abwassersystems verkocht sind. Horrorgeschichten machen die Runde, die Medien halten sich zurück. Mein Fitnessstudio ist hoffnungslos überfüllt. Die Stunde gleicht einem militärischen Kampftraining. Wir heben unsere eisernen Hanteln nicht hoch, sondern boxen damit wie wild in die Luft. Gegen den Feind sollen wir kämpfen, brüllt dazu unser Trainer, unseren Hass herausprügeln: "Fight the enemy, get your hate out!"

DONNERSTAG, 20.9. Die Sicherheitsmaßnahmen sind überall zu erkennen: Jede New Yorker U-Bahn Station wird von Polizisten bewacht, die die Fahrgäste genau beobachten. Als ich aus der Station Lexington Ave / 59 St. auf die Straße heraustrete, hält ein Einsatzwagen mit quietschenden Reifen direkt vor mir. Glücklicherweise wollte die Streife nicht zu mir, sondern stoppte wegen eines leeren Koffers, den ein gedankenloser New Yorker auf dem Gehweg hinter mir abgestellt hatte. Trotzdem wurde mir etwas mulmig und ganz klar: Gerade als Ausländer macht man zurzeit besser keine Fehler.

FREITAG, 21.9. Die Bush-Rede wurde insgesamt positiv aufgenommen. Alle wundern sich, wie gut und sicher der Präsident auftrat. Die meisten sind wie er der Ansicht, dass Amerika etwas unternehmen muss. Über die Mittel gehen die Meinungen allerdings auseinander. Die New Yorker befürchten, dass ihre Stadt bei einem Angriff auf Afghanistan Ziel weiterer Terroraktionen werden könnte. Die Straßen und teuren Designerboutiquen im New Yorker In-Viertel SoHo bleiben weiterhin leer, auch wenn einige Geschäfte schon bis zu 60 Prozent Rabatt anbieten. "Die Menschen haben einfach keine Lust einzukaufen", wundert sich eine Verkäuferin aus Israel. "In Israel haben wir jeden Tag Terroranschläge, und leben trotzdem unser Leben, vielleicht sogar intensiver."

SAMSTAG, 22.9. Auch die deutsch-amerikanische Steubenparade ist abgesagt, erzählt die Lüneburger Trachtengruppe enttäuscht, in die ich vor der Feuerwehrwache an der 51. Straße Ecke Lexington Avenue zufällig hineinlaufe. Anstelle der Parade, die sonst jedes Jahr um die Zeit stattfindet, feierten die deutschen Gäste und die Deutsch-New-Yorker einen gemeinsamen Gedenkgottesdienst in der St. Patrick Cathedral. Die Herren vom "Brooklyn Schuetzenverein" jedenfalls waren tief beeindruckt, dass die deutschen Trachtengruppen den weiten Flug trotz alledem auf sich genommen haben. Am Union Square sehe ich die "anderen" New Yorker: die, die diesen Krieg auf gar keinen Fall wollen. Zwischen Blumen, Kerzen, Bildern und Briefen an die Vermissten tauchen plötzlich Poster auf wie "Auge um Auge macht die Welt blind". Am Washington Square singen, rappen, tanzen zum ersten Mal wieder Menschen, die sich nicht mit "America´s New War" beschäftigen. Sie tun´s für ein paar Cent - business as usual.

SONNTAG, 23.9. Tag der großen Gedenkfeier im Yankee Stadium. Die wahren Helden der vergangenen zwei Wochen sind neben Bürgermeister Giuliani die Feuerwehrleute und die bis vor kurzem noch so unbeliebten Polizisten. Plötzlic sieht man sie mit Passanten auf der Straße plaudern, freundlich verabschieden sie heute die Teilnehmer der Trauerfeier: "Take care", seid vorsichtig. Seit 13 Tagen gehen die Menschen viel freundlicher miteinander um, die aggressive Stimmung ist verschwunden. Die Floskel "How are you doing?", wie geht´s?, hat plötzlich eine Bedeutung bekommen, sie wird ernsthaft beantwortet. Besonders tief hat mich die spontane Hilfsbereitschaft beeindruckt: Nicht nur die 300 Feuerwehrleute haben ohne zu zögern ihr Leben für andere aufs Spiel gesetzt - alle haben getan, was sie konnten.

Die Stadt ist menschlicher geworden und stark geblieben. Selbst wenn die Lage noch so verzweifelt ist, kämpfen die Menschen weiter. Das hat etwas unglaublich Ermutigendes, Positives. In den längsten zwei Wochen meines Lebens habe ich viel gelernt und verstanden. Ich bin froh, dass ich hier war, als es passierte. Ich komme jetzt noch lieber wieder.

-Imke Jungnitsch-

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